LGBTI*

LGBTI*-Rechte und Resilienz im Ausnahmezustand

Was kann eine diskriminierte Minderheit angesichts von rasant fortschreitendem Autoritarismus, Abbau von Rechtsstaatlichkeit und der Verherrlichung militärischer Gewalt derzeit noch proaktiv unternehmen, um ihre Menschenrechte zu erkämpfen? Ein Blick nach El Salvador.

Mai 2022

Demo am 17. Mai 2022 in San Salvador zum IDAHOT-Tag (Internationaler Tag gegen Homo- und Transphobie). Das Banner weist auf das zentrale Thema Gender-Identitätsgesetz hin.
Foto: Fanny Meléndez, GHT

Der Umgang mit Minderheiten zeigt an, wie ernst es einem Staat wirklich mit Werten wie “Demokratie” und „öffentliche Fürsorge“ ist, die unter anderem auch von den Präsidenten Alejandro Giammatei (Guatemala) und Nayib Bukele (El Salvador) beschworen werden – allerdings eher als Lippenbekenntnis. Tatsächlich werden Bedürfnisse von Minderheiten ignoriert oder sogar gewaltsam unterdrückt.

Diese tendieren dann oft dazu, sich möglichst “unsichtbar” zu machen: keine öffentlichen Manifestationen; keine Forderungen an staatliche Stellen; keine Beteiligung an politischen Verhandlungsräumen; Rückzug ins Private statt Erweiterung der organisatorischen Basis. Umso erstaunlicher ist, dass LGBTI*-Bewegungen in der Region Mittelamerika, obgleich sozial wie politisch diskriminiert, immer noch aktiv sind und sogar in den letzten Jahren deutlich an politischem Profil, Organisation, Breite und eine gewisse Anerkennung gewonnen haben. Dies wollen sie beim derzeitigen „Roll-back“ nicht ohne Weiteres aufgeben.

Aufbau neuer Gruppen trotz struktureller Herausforderungen

In El Salvador haben sich beispielsweise in den letzten 10 bis 12 Jahren eine Vielzahl neuer LGBT-Gruppen, Organisationen und Netzwerke gebildet, die heute ein vielfältiges Spektrum repräsentieren, das auch nicht mehr nur auf die Hauptstadt beschränkt ist. Sie haben langsam, aber stetig „sichere Räume“ und Community-Zentren aufgebaut mit Angeboten für formelle und informelle Bildung, Stipendien, Rechtsberatung, psychosoziale Begleitung, humanitäre Hilfe in Krisen, Gesundheitsberatung, Ernährungssicherheit und einfach: soziale Anerkennung, Freundschaft und Solidarität.

Mit Taichi-Kursen setzt die Organisation Generación Hombres Trans (dt.: Generation Trans-Männer) auf die Gesundheit von Körper und Geist.
Foto: Fanny Meléndez, GHT

Dieser Prozess ohne staatliche Unterstützung war nicht einfach, denn LGBTI*-Gruppen (besonders Transgender-Menschen) sind – abgesehen von Programmen zur AIDS-Bekämpfung – immer noch unterfinanziert, was internationale Kooperation betrifft. Daneben gibt es auch interne Herausforderungen: geringe schulische Bildung von Aktivist*innen, die wegen Diskriminierung frühzeitig aus der Schule oder Universität ausgeschieden sind; Rivalitäten zwischen Organisationen bzw. ihren Leiter*innen; ungleicher Zugang zu (internationalen) Kontakten und Spenden; geringe Verwaltungs- und Planungskapazitäten; schwache Vernetzung und damit geringe Unterstützung, z.B. seitens der feministischen Bewegung oder was Integration in breitere soziale Bündnisse betrifft.

Kleine Schritte in die richtige Richtung

Diese Herausforderungen sind leider auch ein Grund, warum es bisher keine Bündnisstruktur gibt, die transparent, demokratisch und inklusiv (bzgl. Minderheiten in den eigenen Reihen) gemeinsame Interessen bündelt und politisch nach außen und gegenüber dem Staat vertritt. Trotzdem sind in den letzten Jahren kleine Schritte auch zur Veränderung struktureller Rahmenbedingungen erfolgt sowie zum Abbau religiöser und kultureller Denkschemata, die dieser Bevölkerung immer noch ihre Menschenwürde und Menschenrechte verweigern.

Von 2009-2019, unter zwei (FMLN-) Regierungen, beinhaltete das Sekretariat für Soziale Inklusion (SIS) auch eine Landesdirektion für Diversität. Das war zum ersten Mal eine staatliche Anlaufstelle, die im Dialog mit LGBTI*-Organisationen deren Forderungen für ein Leben ohne Diskriminierung und Gewalt entgegennahm. Ihr Output war jedoch aufgrund des geringen Haushalts und mangelnder politischer Prioritätensetzung noch sehr schwach.

Schulungen zu Dekret 56 als wichtiges Arbeitsfeld

Immerhin wurde 2010 ein Diskriminierungsverbot in der öffentlichen Verwaltung aufgrund von sexueller Orientierung und Genderidentität erlassen (Dekret 56) und die Umsetzung ansatzweise begonnen. Schulungen zur Sensibilisierung über SOGI und das Dekret 56 mit öffentlichen Bediensteten, aber auch mit der LGBTI*-Community selbst, wurden danach ein wichtiges Arbeitsfeld von LGBTI*-Organisationen und es entstanden neue Dialogräume.

Einige waren nicht sehr ergiebig, wie der „Runde (LGBT) Tisch“ des Arbeitsministeriums (MTPS), der nie über eher symbolische Aktionen wie das Hissen der Regenbogenfahne im Juni, kleine LGBT-Jobbörsen und Handwerksmärkte hinauskam. Zur Erarbeitung einer Strategie gegen Diskriminierung in der Privatwirtschaft und eine grundlegende Verbesserung der Chancen von LGBTI*-Menschen auf dem Arbeitsmarkt kam es nicht. Ebensowenig konnte das Erziehungsministerium bisher dazu bewegt werden, Maßnahmen gegen das Mobbing an Schulen, Technischen Instituten und Universitäten zu ergreifen, um durch bessere Ausbildung auch bessere Arbeitschancen zu erreichen.

Kleine Fortschritte, die Mut machen

Was Gesundheit betrifft, wurde von der Organisation DIKÈ LGBTI+, die die einzige Gesundheitsklinik für Transgender-Menschen in der Region unterhält, ein Protokoll für die medizinische Versorgung von Trans*Menschen erarbeitet, aber eine Bereitschaft des Gesundheitsministeriums, dies zu diskutieren, gibt es noch nicht. Fortschritte gab es aber beim Obersten Wahlgericht, das seit fast 10 Jahren LGBT-Referent*innen anstellt, um lokale Wahlkommissionen und ehrenamtliche Wahlhelfer*innen für den respektvollen Umgang mit LGBT-Menschen zu schulen.

Protestaktion von der CIR-Partnerorganisation Lambda unter dem Motto: „Wenn es für die Bevölkerung keine Gerechtigkeit gibt, dann soll die Regierung auch keinen Frieden haben.“
Foto: Asociación LAMBDA

Ein weiterer Erfolg war 2019 die Verabschiedung einer LGBTI*-Politik des Ministeriums für Justiz und öffentliche Sicherheit (MJSP) und die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zu deren Umsetzung. Behörden wie Polizeiakademie, Strafvollzug, Migrations- und Grenzkontrolle, Anlaufstellen für den Schutz von Gewaltopfern haben danach eigene Protokolle für den respektvollen Umgang mit LGBTI*-Menschen formuliert und ihr Personal entsprechend geschult, was zu einer teilweisen Verbesserung der Behandlung in den Behörden geführt hat.

Bahnbrechende Resolution bei Namensänderung

Kernstück der politischen LGBT-Agenda in El Salvador ist jedoch das Gender-Identitätsgesetz, das 2018 von 7 Organisationen ins Parlament eingebracht wurde. Das Gesetz würde es Transgender-Menschen erlauben, ihre Namen ihrer Genderidentität anzupassen, auf einem einfachen, administrativen und kostenlosen Weg, statt über lange und kostspielige Prozesse vor Familiengerichten. Dies wiederum würde das Alltagsleben und den Zugang zu Gesundheit, Bildung und Arbeit enorm erleichtern.

Eine bahnbrechende Resolution des Verfassungsgericht ermöglichte im März 2022 die Namensänderung einer Aktivistin der Organisation COMCAVIS TRANS (Partner in einem Regionalprojekt der CIR), was nun den Druck aufs Parlament erhöht, entsprechende Gesetze zu erlassen. Die Beispiele zeigen, dass selbst in einem so konservativen Land wie El Salvador konstruktive Vorschläge in staatliche Räume eingebracht und Öffnungen erreicht werden konnten, die es allerdings ohne die Initiative und den Mut der LGBT-Aktivist*innen nicht gegeben hätte.

Zwei Schritte vor, einen zurück

Mit Amtsantritt des populistischen Präsidenten Nayib Bukele 2019 erlitt diese jahrelange Arbeit einen Rückschlag. Prompt wurde das Sekretariat für Inklusion aufgelöst und LGBT-Angelegenheiten dem Kulturministerium zugewiesen, das wenig Interesse und Haushaltsmittel dafür hat. Alle o.g. Dialogräume und Arbeitsgruppen wurden ausgesetzt. Im Parlament werden nur noch Gesetze aus dem Präsidentenpalast abgesegnet. Vorschläge der Zivilgesellschaft, wie das Gender-Identitätsgesetz oder das Gesetz zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen, wurden samt und sonders ins Archiv geschickt.

Das von offizieller Seite geschürte Klima von Intoleranz und Hass gegen alle, die anders sind und anders denken, oder es sogar wagen, die Regierung zu kritisieren, wird von LGBT-Menschen als direkte Bedrohung empfunden. Sie denken dabei an die zahlreichen, an LGBT-Menschen verübten Morde, die immer noch auf Aufklärung warten.

Ausnahmezustand verschärft Klima der Angst

Der Ende März verhängte Ausnahmezustand „zur Bekämpfung der Bandenkriminalität“ und nachfolgende Massenverhaftungen erhöht ihre Sorgen. Menschenrechtsorganisationen berichten von zahlreichen, willkürlichen Verhaftungen einfacher Bürger, ohne Aussicht auf gerechte und schnelle Prozessführung. Haftrichter*innen urteilen in Massenabfertigung, da bei der großen Zahl Einzelprüfungen nicht mehr möglich sind. Es scheint der Regierung darum zu gehen, die Bevölkerung insgesamt, nicht nur die Banden, durch Demonstration militärischer Überlegenheit massiv einzuschüchtern, um zukünftige Proteste aufgrund der Wirtschaftskrise und wachsender Korruptionsvorwürfe zu unterbinden.

Ist es realistisch, vorwärts zu denken?

LGBTI*-Organisationen haben aus Sicherheitsgründen nicht gemeinsam und sichtbar an der 1. Mai-Demonstration teilgenommen, planen aber dennoch ihre Pride-Demonstration im Juni. Sie hatte 2021 mit über 10.000 Teilnehmer*innen einen neuen Rekord erreicht, was auch ein Indikator für den Erfolg der geleisteten Basisarbeit ist.

Mit einem kleinen Fitnessstudio setzt die Organisation Generación Hombres Trans (dt.: Generation Trans-Männer) auf die Gesundheit von Körper und Geist.
Foto: Fanny Meléndez, GHT

Ein Beispiel für gewachsenes Selbstbewusstsein, Entschlossenheit und Resilienz ist die in 7 Jahren auf etwa 60 Transgender-Männer angewachsene Organisation „Generación Hombres Trans“. Sie fördert in diesem Jahr integrale Gesundheit über psychologische Beratung, Multiplikator*innen-Workshops für Selbstfürsorge und psychosoziale Begleitung in Krisen, medizinische Beratung, Massageangebote und ein kleines Fitness-Studio. Vielfältige Bildungsarbeit soll Arbeitschancen fördern und Berührungspunkte mit Bevölkerung außerhalb der Community knüpfen. Eine Studie über Lebensbedingungen von Transgender-Männern ist geplant.

„Immer wieder geschafft, auf neue Situationen einzustellen“

Auch wenn im Moment riskante Aktivitäten wie Ortsbesuche oder Kontaktaufbau auf der Straße wegen der laufenden Massenverhaftungen abgesagt sind und die Organisation zurückhaltender geworden ist mit Veröffentlichung regierungskritischer Meinungen in den Sozialen Medien geht es weiter: „Wir haben es immer wieder geschafft, uns auf neue Situationen einzustellen: erst die Pandemie, die mehrmonatige Quarantäne, als wir nicht vor die Tür konnten, der Regierungswechsel, nun der Ausnahmezustan. Er wird uns nicht bremsen. Wir werden neue Strategien suchen, die möglich sind und gleichzeitig versuchen, institutionell und von Seiten der Bevölkerung Rückendeckung zu bekommen. Wir müssen immer wieder neu analysieren, was wir machen, und vor allem, wie wir es umsetzen können“, teilen uns Vertreter*innen der Organisation mit.

Der Pride-Umzug im Juni wird zeigen, ob die Teilnehmer*innenzahl vom letzten Jahr noch übertroffen werden kann, und ob und wie der LGBTI*-Aktivismus in El Salvador den Ausnahmezustand überlebt.

Foto: Maren Kuiter

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Dorothee Mölders
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