LGBTI* in Mittelamerika

„Wir gehen trotzdem auf die Straße“

LGBTI*-Aktivist Erick Vidal Martinez Salgado aus Honduras im Interview

Auf dem Weg zur Demo. Foto: Erick Vidal (MDR)

Erick Vidal ist überzeugter Menschenrechtsaktivist, der sich insbesondere für die Rechte von LGBTI* stark macht. Als Mitbegründer der LGBTI*-Widerstandsbewegung kämpft er zusammen mit der CIR-Partnerorganisation CDM an vorderster Front für die Anerkennung gleicher Rechte für LGBTI*. Er selbst identifiziert sich als schwuler Mann. Im Interview mit der CIR spricht er über seinen Einsatz in Honduras in einer politisch überaus turbulenten Zeit.

Interview: Joana Eink (CIR), Übersetzung: Kirsten Clodius (CIR)

Du bist Menschenrechtsverteidiger mit dem Fokus auf die LGBTI* Gemeinschaft in Honduras. Worin genau bestehen Deine Aufgaben?

Zur Zeit arbeite ich im Institut für Recherche und Förderung von Menschenrechten (CIPRODEH). Ich bin bereits seit 7 Jahren in der Menschenrechtsarbeit tätig und habe mich unter anderem mit der Koordination von Menschenrechtsprojekten, der Menschenrechtsbeobachtung in Haftanstalten sowie Weiterbildungsprogrammen zum Thema Menschenrechte beschäftigt, insbesondere für LGBTI*. Gerade bin ich für Monitoring und Evaluierung bei CIPRODEH zuständig.

Zudem bin ich ehrenamtlich tätig. Als aktives Mitglied der Gruppe MDR (Movimiento de Diversidad en Resistencia – Bewegung für Vielfalt im Widerstand), die ich auch mitgegründet habe. Und als Koordinator der LGBTI*-Abteilung der Frente Nacional de Resistencia (Nationalen Widerstandsfront).

Welche Rolle spielst Du in der politischen Landschaft Honduras‘?

Neben meiner hauptberuflichen und ehrenamtlichen Arbeit habe ich die Chance bekommen, das Sekretariat für Sexuelle Vielfalt in der Partei LIBRE (Freiheit und Neugründung) zu koordinieren. Ich habe bei zwei Wahlen als schwuler Mann in Honduras kandidiert, wodurch ich gezeigt habe, dass auch LGBTI* Personen politische Subjekte mit dem Recht auf politische Teilhabe sind. Dadurch bin ich auf nationaler und internationaler Ebene eine Referenz.

Erick Vidal engagiert sich ehrenamtlich in der Bewegung MDR für „Diversität und Widerstand“. Foto: Privat

Wie stellt sich aus Deiner Sicht die Situation von LGBTI* in Honduras im Vergleich zu anderen Ländern in Mittelamerika dar?

In anderen Ländern hat es auf der sozialen Agenda Fortschritte für den Schutz von fundamentalen Rechten von LGBTI* gegeben. Jedes Land hat verschiedene Strategien für die Anerkennung der Rechtsgleichheit weiterentwickelt. Zum Beispiel für die Ehe für alle, die Anerkennung von Genderidentitäten und für Toleranz. In Honduras allerdings behindern religiöse Fundamentalisten den Fortschritt unserer Rechte. Die internationale Aufmerksamkeit nach dem Staatsstreich von 2009 zwang Honduras zwar dazu, mehr für die Aufklärung von Morden an LGBTI* zu tun. Doch  die strukturellen Probleme im Land erlauben es nicht, die Problematik ganzheitlich zu beleuchten. Sei es durch mangelnden politischen Willen oder aufgrund des Fehlens einer öffentlichen politischen Agenda zum Schutz von LGBTI*. Die Politik müsste die soziale Gleichheit bekräftigen und Entwicklungsmöglichkeiten für alle Menschen bieten. Dazu gehören unter anderem ganzheitliche Gesundheitsversorgung, würdige Arbeit und diskriminierungsfreie Bildung.

Was sind die Herausforderungen für die LGBTI* Community in Honduras, die es am dringlichsten zu überwinden gilt?

Wir brauchen ein Antidiskriminierungsgesetz und die Anerkennung des Prinzips der Rechtsgleichheit. Das steht für uns an allererster Stelle. Außerdem wäre das Recht auf Genderidentität von großer Bedeutung für Transpersonen.

All das steht im Zusammenhang mit der insgesamt schwierigen Lage in unserem Land. Korruption, Straflosigkeit und der aufkommenden Diktatur müssen endlich Einhalt geboten werden. Davon profitieren alle, auch LGBTI*-Personen.

Im Juni 2018 jährt sich der Staatsstreich bereits zum 9. Mal. Im letzten Jahr hat sich die LGBTI* Community stark an den Gedenk-Märschen und -Ereignissen beteiligt.

Ja, wir greifen immer historische Anlässe auf und die LGBTI* Community feiert am 28. Juni den Tag der LGBTI*-Würde In Honduras ist dies vor allem eine Demonstration zur Einforderung des Rechts auf Teilhabe. Wir verbinden uns mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen und sozialen Sektoren, die sich ebenfalls mühsam öffentlichen Raum erkämpft haben.

Wie stellt sich die Situation in 2018 dar? Gibt es ähnliche Pläne?

Das Klima ist zur Zeit wegen der Wahlen im November 2017 angespannt. Der Wahlbetrug war ein Zeichen für die Festigung der Diktatur in unserem Land. Wir gehen aber mit der Gruppe MDR (Movimiento de Diversidad en Resistencia – Bewegung für Vielfalt im Widerstand) trotzdem auf die Straße. Es ist unser historisches Recht und wir hoffen, dass es keine staatliche Repression geben wird.

Demonstration der Widerstandsbewegung MDR – Homophobie nein, Sozialismus Ja. Foto: Erick Vidal (MDR)

Wie nimmt die Gesellschaft solche Ereignisse auf, die klar Stellung für LGBTI* beziehen?

Leider sind der Machismus und das Patriachat nach wie vor stark in der Gesellschaft verankert. Da bedarf es noch viel Arbeit. Die von uns errungene erhöhte öffentliche Sichtbarkeit führt zu großer Polarisierung. Doch es gibt auch viele Personen, die uns Beifall spenden und anerkennen, dass wir zum öffentlichen Bild dazugehören.

Ist die LGBTI*-Beteiligung an solchen Gendenkmärschen und -festen groß?

Einige LGBTI*-Personen haben Angst, dass auf sie gezeigt wird, dass sie beleidigt oder gar angegriffen werden. Doch es gibt inzwischen, wie gesagt, schon eine höhere Sichtbarkeit der LGBTI*-Community, was zu ihrer Stärkung beiträgt.

Im Globalen Norden gibt es immer mehr Kritik an der Kommerzialisierung von LGBTI*-/Pride-Veranstaltungen. Zeichnet sich eine solche Entwicklung auch in Honduras ab?

Nein, das gibt es hier so noch nicht. Aber ich schließe nicht aus, dass wir irgendwann so zur Gesellschaft gehören, dass die Wirtschaft Interesse daran entwickelt, LGBTI*-Räume kommerziell zu nutzen. Damit würde dann eine Abhängigkeit zum privaten Sektor geschaffen, der in unserer Region letztendlich nur nach  Formen moderner Sklaverei sucht.

Vor den Präsidentschaftswahlen im November 2017 hast Du gemeinsam mit der Partei LIBRE an einer Oppositionsallianz gearbeitet. Was ist seit der Machtübernahme von Präsident Hernandez mit der Allianz passiert?

Die Allianz geht ihren Weg, aber die Differenzen zwischen dem Präsidentschaftskandidaten und dem Koordinator der LIBRE-Partei erschweren den Aufbau einer unmittelbaren Perspektive. Das Schöne aber ist, dass die Bürger*innen im Prozess eine große Rolle gespielt und so eine politische Haltung entwickelt haben. LIBRE verfolgt intern weiterhin eine kohärente Agenda und wir bereiten den Boden dafür vor, die politische Macht zu ergreifen. Unsere Arbeit ist schwierig. Es ist mühsam, Souveränität und Unabhängigkeit wiederzuerlangen.

Wie stellt sich aus Deiner Sicht die aktuelle Lage der LGBTI*-Community in Honduras dar – im Vergleich zur Situation vor den verfassungswidrigen Präsidentschaftswahlen?

Wir haben erneut einen steinigen Weg vor uns, denn der aktuelle Machthaber hat sich nie für die soziale Agenda interessiert und die Situation im Land hat sich wirklich zugespitzt. Viele Menschen fliehen aus dem Land und der Konflikt, der nach den Wahlen entstanden ist,  ist nicht gelöst. Ich kann die Angst einiger LGBTI*- Personen spüren. Diese Angst zeigt deutlich, wie wir als Gemeinde besonders von diesen Konflikten betroffen sind. Dennoch hoffen wir, unsere Allianzen auszubauen, um effektivere Lobbyarbeit zu betreiben und so konkrete Verbesserungen für LGBTI* zu erwirken. Die einzige Alternative dazu ist es, in die Verfassungsgebende Versammlung zu kommen. Das ist ein politischer Einsatz, der LGBTI*-Personen zu Gute kommen kann.

Wie hat der Wahlbetrug den Widerstand in der Bevölkerung insgesamt beeinflusst?

Der aktuelle Präsident reagiert auf Widerstand mit starker Repression. Das Militär hat  mindestens 14 Menschen getötet und ungefähr 844 Bürger*innen, die sich gegen den Wahlbetrug ausgesprochen haben, willkürlich festgenommen. Dennoch spüre ich auch eine Erstarkung der Jugend bei der Einforderung ihrer Rechte. Ihre Mobilisierung wächst, sie gehen öfter auf die Straße und entfernen sich von den Machthabenden.

Was hältst Du vom Gutachten des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte von Januar 2018, das alle Mitgliedsländer u.a. dazu verpflichten könnte, die Ehe für Alle zu öffnen?

Es ist ohne Zweifel ein wichtiges Instrument zur Einforderung unserer Rechte.  Gleichzeitig ist es beschämend, dass das Prinzip der Gleichheit keine Priorität in unseren Ländern hat und wir erst zu Dritten gehen müssen, damit unsere fundamentalsten Menschenrechte anerkannt werden.

Möchtest Du den Leser*innen noch etwas mitteilen?

Ja. Alle, die dieses lesen, sollen wissen, dass wir in erster Linie Personen sind. Erst danach kommt unsere Genderidentität. Niemand sollte ein Leben geringschätzen, denn es ist das Kostbarste, was wir auf der Welt haben. Niemand wird in seiner Würde verletzt durch unser Bestreben nach Glück. Wenn Sie eine  LGBTI*-Person treffen, strecken Sie Ihre Hände aus, um zu helfen oder erheben Sie Ihre Stimme, um etwas so Kostbares wie das Leben zu verteidigen und zu schützen.