Guatemala

Die Unabhängigkeit der Rechtsprechung in Gefahr

Seit 2019 gewinnt der „Zirkel der Kooptation“ in Guatemala immer mehr Macht. Menschen, die sich für die Strafverfolgung – u.a. von  Regierungsmitgliedern – einsetzen, geraten zunehmend unter Druck. Erst kürzlich musste die Richterin Erika Aifán deshalb ins Exil fliehen.

April 2022 / von Albrecht Schwarzkopf, ehemaliger CIR-Referent für Guatemala

Im Exil: Richterin Erika Aifán

Im März 2022 legte die unabhängige Richterin am Gericht für schwere Kriminalitätsverfahren in Guatemala, Erika Aifán, ihr Amt nieder und begab sich aus Sicherheitsgründen ins Exil. Bereits 2021 ehrten die französische und die deutsche Botschaft Erika Aifán aus Sicherheitsgründen mit einem Preis. Trotzdem war sie weiterhin massiven Bedrohungen ausgesetzt. Der Grund: Erika Aifán war illegalen Zahlungen, die im vergangenen Wahlkampf von einem bekannten lateinamerikanischen Bauunternehmen an den Präsidenten Alejandro Giammattei und seine Kampagne flossen, auf der Spur. Giammattei hatte im Wahlkampf seine Position in der Exekutive ausgenutzt, um die Judikative zu unterlaufen.

Im Exil: Staatsanwalt Francisco Sandoval

Seit der einseitigen Aufkündigung des Mandats der UN-Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG, Comisión Internacional Contra la Impunidad en Guatemala) im Jahr 2019 durch den damaligen Präsidenten Guatemalas, Jimmy Morales, haben die „Zirkel der Kooptation“ (in Guatemala wird auch vom Pakt der Korrupten gesprochen), Schritt für Schritt zunehmend Macht errungen. So gelang es ihnen im April 2021 durch die Neuwahlen der Richter*innen des Verfassungsgerichts, dieses unter ihre Kontrolle zu bringen. Mitte 2021 entließ die Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras Argueta, die im “Pakt der Kooptation” eine treibende Kraft ist, den leitenden Richter der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit (FECI, Fiscalia Especial Eontra la Impunidad), Francisco Sandoval, der für die Fortsetzung der Arbeit der UN-Kommission CICIG auf nationaler Ebene stand. Der Grund für die Entlassung war seine Aufklärungsarbeit, die dem „Zirkel der Kooptation” missfiel. Durch die damit einhergehende Aufhebung seiner Immunität, war sein Leben in Gefahr und er flüchtete ins Exil. Porras gruppierte die Abteilungen der Staatsanwaltschaft daraufhin neu und besetzte sie mit Personen ihrer Wahl. Francisco Sandoval wurde durch Rafael Curruchiche, der als ein Vertrauter Porras gilt, ersetzt. Seit diesem Personalwechsel verfolgt die Sonderstaatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit keine Straflosen mehr, sondern jene, die sich gegen Straflosigkeit einsetzen.

Porras auf der Engel-Liste

Die Entlassung des Sonderstaatsanwalts Francisco Sandoval führte dazu, dass Porras auf die Engel-Liste der USA gesetzt wurde. Die Engel-Liste ist ein Bestandteil des „Global Magnitsky Act“ der USA (2016), welcher Sanktionen in Formen von Einreiseverboten und Sperrungen von Konten von einflussreichen Personen vorsieht, die an der Verletzung von Menschenrechten und Korruption beteiligt sind. Auf dieser Liste steht auch der guatemaltekische Verfassungsrichter Hector Vasquez.

Weitere Fälle von Immunitätsentzug

Die Verfolgung erreicht auch unabhängige Richter*innen, die in paradigmatischen Gerichtsfällen die Verfahren zu schweren Korruptionsverbrechen oder Menschenrechtsverletzungen führen, wie Yassmin Barrios, Miguel Ángel Gálvez, Carlos Ruano oder Pablo Xitumul. Letzterem wurde in einem Vorgang voller Ungereimtheiten ebenfalls die Immunität entzogen.

Neuwahl der Generalstaatsanwaltschaft

Im April 2022 findet die Neuwahl zur Generalstaatsanwaltschaft statt. Eine Einmischung ausländischer Botschaften in die Souveränität Guatemalas hat der Präsident Giammattei jedoch verboten. Wie in anderen Ländern, liegt die Wahl der Person für das Amt der Generalstaatsanwaltschaft in den Händen der Exekutive. Mitte April wird eine Liste von sechs Kandidat*innen an den Präsidenten übergeben, der dann die Wahl trifft. Auf dieser Liste befanden sich in der letzten Runde der Prüfphase, vor der Selektion von sechs Kandidat*innen seitens der Berufungskommission, Consuelo Porras und Luis Donado, dem Staatsanwalt der Procuraduria General de la Nacion (PGN, annähernd vergleichbar mit dem Bundesgerichtshof in Deutschland), dem ebenfalls Korruptionsanfälligkeit vorgeworfen wird. Giammattei wird auf eine Person setzen, die ihm auch persönlich opportun erscheint und dafür sorgt, dass Vorwürfe gegen ihn – in und nach seiner Amtszeit – ins Leere laufen. Es ist nicht auszuschließen, dass er entweder Consuelo Porras oder Luis Donado wählen wird.

Abbau der institutionellen rechtsstaatlichen Strukturen

Aktuell steht Guatemala vor einer Maschinerie, die den Abbau der institutionellen rechtsstaatlichen Struktur im Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit verfolgt, die Jimmy Morales initiiert und Giammattei konsolidiert hat. Dieser Abbau wird durch die Zusammenarbeit der Mehrheit der Richter*innen des Obersten Gerichtshofs (CSJ, Corte Suprema de Justicia) und der Mehrheit der Abgeordneten des Parlaments unterstützt.

Unterstützer*innen des Abbaus der institutionellen rechtsstaatlichen Strukturen

Die Regierungspolitik und die auffälligen Vorgänge zur Durchlöcherung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung werden durch den oligarchischen Unternehmerverband CACIF unterstützt. Noch 2021 feierte der Unternehmerverband CACIF die Generalstaatsanwältin Porras – erst jetzt, nachdem die USA ankündigten, dass auch Unternehmer*innen auf die Engel-Liste gesetzt werden, wenn diese nicht konsequent gegen Korruption vorgingen, ruderte der CACIF vorsichtig zurück. Neben dem oligarchischem Unternehmerverband sind auch Unternehmensbereiche, die mit Geldwäsche zu tun haben, involviert. Ebenso wie Personen aus den Kreisen des Militärs, die die Vorgänge zur Unterlaufung der Rechtsstaatlichkeit unterstützen. Dazu gehören Offiziere, die noch als solche aktiv sind und bereits aktiv an Menschenrechtsverbrechen während des Bürgerkriegs (1963-1996) teilgenommen haben.

Fundacion contra el Terrorismo

Für die Wahrung der Interessen jener, die ihre Straflosigkeit nicht verlieren möchten, tritt die Fundacion contra el Terrorismo (Stiftung für Terrorismusbekämpfung) ein. Dies ist einerseits eine NGO und andererseits eine Rechtskanzlei, unter der Führung der beiden Juristen, Ricardo Mendez Ruiz und Raul Falla. Ricardo Mendez Ruiz bezeichnet den ehemaligen guatemaltekischen Putschgeneral Efrain Rios Montt auf seiner Facebook-Seite als größten Staatsmann. Mit ihren juristischen Anklagen und Anzeigen bilden die beiden Rechtsanwälte ein unnachgiebiges Rückgrat für diejenigen des „Zirkels der Kooptation“, die in Staatsanwaltschaft, Gerichtswesen und Parlament aktiv sind. Dieser Zusammenschluss verschiedener Kräfte, lässt jene Kräfte, die für Demokratie und Rechtsstaat kämpfen, fast auf verlorenen Posten erscheinen. Die inzwischen ehemalige und exilierte Richterin Erika Aifán war über lange Zeit ein bevorzugtes Ziel der Fundacion contra el Terrorismo. Ricardo Mendez Ruiz befindet sich wie die aktuelle Generalstaatsanwältin auf der Engel-Liste der USA.

Resümee

Es handelt sich in Guatemala um die Offensive der Macht von Politik und Oligarch*innen sowie um die kriminellen Absprachen korrupter Akteur*innen, die nicht erneut Ermittlungen, Anzeigen und strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sein wollen. Sie lamentieren, dass die Souveränität zu verteidigen sei, während sie in Wirklichkeit ihre ewige Straflosigkeit unter dem Deckmantel der Souveränität verteidigen.

Porträt von Christian Wimberger

Ich bin für Ihre Fragen da:

Christian Wimberger
Referent für Unternehmensverantwortung, Bergbau, öffentliche Beschaffung, Guatemala
wimbergernoSpam@ci-romero.de
Telefon: 0251 – 674413-21