Die Mitglieder der Gemeinde Venecia der Maya Q’eqchi leben in direkter Nähe zu den Palmöl-Monokulturen. Foto: CIR
Es ist Dienstagfrüh, die Bewohner*innen des Dorfes Telemán im Departamento Alta Verapaz sind bereits auf den Beinen. Menschen füllen die engen Gassen. Schwere, vollgeladene LKW brettern die Hauptstraße entlang. Sie transportieren Obst, Kautschuk und vor allem: Ölpalmenkerne. Es ist ein gewöhnliches Bild für die rund 4.500 Einwohner*innen, denn Telemán ist das Tor zur ländlichen Region Polochics und damit ein Knotenpunkt des Agrartransports. Nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg zur Gemeinde Venecia der Maya Q’eqchi. Wir möchten einen Eindruck von den Ölpalmenplantagen in indigenen Territorien gewinnen. Begleitet werden wir unter anderem von José Luis Caal, dem Vertreter der CIR-Partnerorganisation CONGCOOP, sowie von Juan Bautista Xol, einem Journalisten der lokalen Nachrichtenagentur Prensa Comunitaria. Als wir losfahren, teilt José Luis uns mit, dass sich die Sicherheitslage in der Region zugespitzt habe. Exakt an diesem Morgen sei in der Nähe ein Fischer und Umweltaktivist aus dem Munizip El Estor ermordet worden. Sein Tod werde mit dem lokal organisierten Widerstand gegen das umstrittene Fénix-Bergbauprojekt in Verbindung gebracht.
Von einem Besuch der gut geschützten Fabrik des Palmölunter-nehmens NaturAceites wurde den CIR-Referent*innen abgeraten. Foto: CIR
Nach wenigen Kilometern sind bereits die ersten Monokulturen zu sehen. Die Landschaft wird in diesem Teil des Landes von Ölpalmen dominiert. Plantagen erstrecken sich auf beiden Seiten der Landstraße, sodass wir für den Rest der fast einstündigen Fahrt kaum andere Pflanzen sehen. Wir passieren das Gebiet Panacté. Der hiesige Flugplatz sowie die lokale Mühle gehören dem Palmölkonzern NaturAceites (NaturAceites ist eins der Unternehmen, denen die CIR im Report „Im Schatten der Ölpalme” aus dem Januar 2024 Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden im Zusammenhang mit Palmölproduktion auch für den deutschen Markt nachweisen konnte). Gerne hätten wir uns auch dessen Fabrik angeschaut, doch davon rät man uns ab: „Jedes fremde Gesicht könnte vom Unternehmen als Provokation gesehen werden.“
Am Ziel angekommen, schlägt uns die Hitze ins Gesicht, genauso wie unzählige Fliegen – eine Plage, die vom für die Ölpalmen verwendeten Düngermittel verursacht wird. Rund 30 Anführer*innen der umliegenden indigenen Gemeinden und mehrere Einwohner*innen von Venecia heißen uns willkommen. Es ist das erste Mal, dass eine Nichtregierungsorganisation sie besucht. In einer Holzhütte, die als Gemeinschaftsraum dient, berichten sie uns von der aktuellen Landsituation.
Heute liegt die Gemeinde Venecia inmitten einer Ölpalmenmonokultur. Einst wurde das Land jedoch traditionell bewohnt. „Als wir Kinder waren, lebten wir hier mit unseren Familien und betrieben Ackerbau“, erinnert sich ein Gemeindemitglied. Während des Bürgerkriegs in den 80er und 90er Jahren sei jedoch der Druck von Großbäuerinnen und -bauern immer stärker geworden, bis diese eines Tages ihre Kühe auf die angelegten Mais- und Bohnenfelder losgelassen hätten. „Als wir mehr Widerstand leisteten, ermordeten sie vier Mitglieder unserer Gemeinde. Uns blieb nichts anderes übrig, als wegzugehen.“ Ganze Familien hätten sich anfangs in den Bergen versteckt. Später seien sie von Ort zu Ort gezogen, jedoch ohne sich jemals wieder ansiedeln zu können. Eine Rückkehr blieb für die ehemaligen Einwohner*innen lange unmöglich. Ihr Land wurde mehrmals verkauft und ab 2005 schließlich für die ersten Ölpalmenplantagen zweckentfremdet. Heute beansprucht NaturAceites das Gemeindegebiet gänzlich für sich, obwohl das Unternehmen keinen gültigen Landtitel besitzt.
Im Jahr 2016 beschlossen rund 40 Familien, in das Venecia-Gemeindeland zurückzukehren und ihre Häuser wieder aufzubauen. Die Familien sehen sich seitdem mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert, denn NaturAceites erschwert die Wiederansiedlung der Gemeinde. Die Einwohner*innen werden gehindert, ihre Äcker zu bestellen, die Wasserquelle ist verschmutzt, sie haben keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung und bekommen keine Genehmigung für die Gründung einer Bildungseinrichtung. Keins der 60 Kinder aus Venecia geht aktuell zur Schule, da es schlicht und einfach keine in der Nähe gibt. Ein Gemeindevertreter erklärt: „Ich habe wiederholt beim Bürgeramt um eine Schule für unsere Gemeinde gebeten. Doch sie wird uns aufgrund der Landkonflikte verweigert.“ Den Behörden zufolge könne nur NaturAceites selbst die Erlaubnis für eine Schule erteilen. Doch das tut das Palmölunternehmen nicht. Ähnlich verhalte es sich mit dem Bau eines Gesundheitszentrums.
Eine Gemeinde kämpft um ihr Land und gibt den CIR-Referent*innen Alejandra Castro Klede (5. v.l.) und Anderson Sandoval (4. v.l.) einen Einblick in ihren Alltag am Rande der Palmöl-Monokulturen. Foto: CIR
Trotz der Widrigkeiten haben sich zehn Q’eqchi-Gemeinden in einem „Rat zur Verteidigung des angestammten Territoriums“ organisiert, um ihre Landrechte geltend zu machen. Don Roque, Sprecher des Rates, sagt: „Wir werden für unser Land, das uns geraubt wurde, kämpfen. Denn heute wissen wir, dass gemäß dem Übereinkommen 169 über Indigene Völker der Internationalen Arbeitsorganisation unsere Eigentums- und Besitzrechte an diesem Land anzuerkennen sind.“
Mit schwerem Herzen fahren wir zurück nach Telemán. Die große Ungerechtigkeit, die den Q’eqchi-Gemeinden in Polochic widerfährt, aber auch ihr mutiger Kampf haben uns tief bewegt. Als sich unser Pick-up seinen Weg durch das Labyrinth der symmetrisch aus dem Boden sprießenden Ölpalmen bahnt, ist uns klar: Die Menschen hier brauchen unseren entschlossenen Beistand und tatkräftige Unterstützung.
presente 2025-1: Der Ausverkauf Mittelamerikas: Privatisierung und ihre Folgen
Ich bin für Ihre Fragen da:
Anderson Sandoval
Referent für Auslandsprojekte
sandoval @ci-romero.de
Telefon: 0251 - 674413-58
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