Kleidung

Maquila Delegationsreise nach El Salvador

Bordadoras – die stickenden Sklavinnen

Während Eltern in der westlichen Welt hübsche Kleider für ihre Kinder kaufen, sind die Heimstickerinnen in El Salvador damit beschäftigt eben diese für für 2 Dollar pro Kleid zu besticken.

29. Januar 2015 / Kathrin Hartmann

Estefania, Carla, Valentina

Estefania, Carla, Valentina

In der Fifth Avenue in New York geht eine wohlhabende Mutter in eine Kinder-Boutique und kauft das hübsche Kleid, das sich ihre Tochter wünscht. Der Stoff ist bunt gepunktet und rund um den Ausschnitt sind kleine Prinzessinnen gestickt, ein Mädchentraum. Zur selben Zeit in einem kleinen Dorf in El Salvador wäscht Valentina* Wäsche, danach wird sie das Geschirr spülen, aufräumen und den Boden fegen.

Valentina ist sieben Jahre alt. Sie hätte auch gern so ein schönes Kleid, das mit Prinzessinnen, Kirschen, Cupcakes, Schneemännern oder Häschen bestickt ist. „Ich würde ihr gern eines sticken“, sagt Clara*, ihre Mutter, „aber dafür habe ich keine Zeit.“ Denn während Valentina die Hausarbeit erledigt, bestickt sie Tag und Nacht Kleider und Blusen für US-amerikanische Luxusboutiquen. Die 26-Jährige ist eine Bordadora, eine Heimstickerin. Sie bekommt keinen festen Lohn, hat keinen Arbeitsvertrag, keine geregelte Arbeitszeit und die Maquila, in deren Auftrag sie stickt, zahlt keine Sozialabgaben. Zwei Dollar bekommt sie pro Kleid, an dem sie bis zu 16 Stunden sitzt. Rund 20 Dollar verdient sie die Woche, das ist etwa ein Drittel des Mindestlohns für Näherinnen, der ohnhehin schon unter der Armutsgrenze liegt. Aber nicht einmal die sind ihr sicher. Wenn die Supervisorin von der Maquila kommt, um die Kleider zu holen, und kleine Fehler oder keinen Gefallen findet, dann wird ihr das vom Lohn abgezogen. Obendrein wird sie bedroht und beschimpft.

„Es ist unmöglich, davon zu leben“, sagt Clara und muss es trotzdem versuchen. Oft reicht das Geld gerade mal für Tortillas, Reis und Bohnen – und obendrein muss sie Sticknadeln und Scheren selber kaufen. Wenn sie ihr Soll nicht pünktlich erreicht, dann muss sie mit dem Bus in die Maquila in der Hauptstadt fahren um die restlichen Stickereien nachzureichen. Das kostet sie einen Dollar und einen halben Arbeitstag. Wenn auch ihr Mann gerade keine Arbeit hat, dann muss sich die Familie Geld für Essen leihen. Clara ist im sechsten Monat schwanger. Sie schläft nachts oft nur zwei Stunden, denn sie muss sticken, jede freie Minute, die Schmerzen in Rücken, Schultern und Händen versucht sie zu ignorieren. So geht das seit neun Jahren, ohne Urlaub, Ferien oder auch nur einem freien Sonntag mit der Familie.

„Made in El Salvador … nähend und stickend ist mir das Leben entglitten.“ So heißt ein Theaterstück von Mujeres Transformando. Die Frauenorganisation kämpft für die Rechte der Bordadoras, die unter noch mieseren Bedingungen als in den Maquilas arbeiten. Niemand weiß, wie viele Frauen in dieser rechtlosen Grauzone ausbeuterische Heimarbeit verrichten. Zwei Dutzend von ihnen hat Mujeres Transformando versammelt, damit sie uns von ihrem Alltag erzählen. Mujeres Transformando unterstützt die Stickerinnen dabei, sich zu organisieren. Zu lange sind die Heimarbeiterinnen unsichtbar geblieben, jetzt trauen sie sich an die Öffentlichkeit und fordern endlich Gerechtigkeit.

„Wir werden behandelt wie Sklavinnen, die Firmen nehmen uns aus“, sagt Estefania*. Die 43-Jährige arbeitet seit 13 Jahren als Heimstickerin. Ihre Fingerkuppen sind von einer dicken Hornhaut überzogen, die aussieht, wie eine große Blase. „Ich bringe meine Familie alleine mit dem Sticken durch“, sagt sie. Ihr Mann arbeitet als Tagelöhner auf dem Bau und findet selten Arbeit, er verdient ein bisschen dazu, indem er Brennholz sammelt und im Dorf verkauft. Estefania, ihr Mann und ihre drei Töchter leben in einer Wellblechhütte, „zu mehr reicht es einfach nicht, so viel ich auch sticke.“ Wenigstens, sagt sie, haben sie Strom. Sonst könnte sie nachts nicht arbeiten – oder nur im Schein einer Kerze, wie manche ihrer Kolleginnen, die sich damit ihre Augen ruinieren. Während sich die Maquila Stromkosten, Sozialabgaben und Verantwortung spart, verdient Estefania 26 Dollar die Woche. Aber nur dann, wenn ihre drei Töchter, 21, 19 und 17 Jahre alt und eine Nichte, ihr bei den Stickarbeiten helfen. Unbezahlt, versteht sich. Man kann es auch Zwangsarbeit nennen. Als die Mädchen anfingen, mit ihrer Mutter zu sticken, waren sie sieben Jahre alt. Die Maquilas, die solche Stickaufträge vergeben, nehmen auch ausbeuterische Kinderarbeit in Kauf. „Es ist meine größte Hoffnung, dass meine Töchter einmal eine bessere Arbeit finden“, sagt Estefania. Manchmal, wenn sie wieder einmal in aller Herrgottsfrüh oder mitten in der Nacht Prinzessinnen auf die Königskinderkleider der reichen Leute stickt, da packt sie doch die Wut. Vor allem, seit eine ihrer Kolleginnen ein besticktes Kleid in die Finger bekam, an dem ein Preisschild hing: 160 Dollar. Doppelt so viel, wie Clara und Estefania im Monat verdienen. Wenn es es sehr gut läuft, jedenfalls.

*Name geändert

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Unter welchen Bedingungen die Bordadoras in El Salvador arbeiten, zeigt auch der folgende spanischsprachige Film.

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Update vom Dezember 2017

Wir haben eine gute Nachricht für Sie aus El Salvador!

Gemeinsam haben sie einen riesigen Erfolg errungen: eine rechtliche Grundlage für die Arbeit der Stickerinnen und einen Mindestlohn von 295 US-Dollar. Das hat Mujeres Transformando mit Kampagnen- und Lobbyarbeit erreicht, die Ihre Spenden finanziert haben – vielen Dank dafür!

Als die Journalistin Kathrin Hartmann die Stickerinnen einmal mit uns besuchte, nannte sie sie in ihrem Bericht „Die stickenden Sklavinnen“: „Die 26-Jährige Clara ist eine Bordadora, eine Heimstickerin. Sie bekommt keinen festen Lohn, hat keinen Arbeitsvertrag, keine geregelte Arbeitszeit und die Maquila, in deren Auftrag sie stickt, zahlt keine Sozialabgaben. Rund 20 Dollar verdient sie die Woche, das ist etwa ein Drittel des Mindestlohns für Näherinnen, der ohnehin schon unter der Armutsgrenze liegt. Aber nicht einmal die sind ihr sicher. Wenn die Supervisorin von der Maquila kommt, um die Kleider zu holen, und kleine Fehler oder keinen Gefallen findet, dann wird ihr das vom Lohn abgezogen. Obendrein wird sie bedroht und beschimpft.“
Dieser menschenverachtenden Praxis lässt sich Dank des neuen Gesetzes nun ein Riegel vorschieben. Doch dazu müssen die Stickerinnen von diesen neuen Rechten erfahren und brauchen juristische Beratung, damit sie auch umgesetzt werden. Mujeres Transformando ist dabei an ihrer Seite.

Dabei können die mutigen Frauen Ihre Unterstützung gebrauchen – unter anderem für die gestiegene Miete: Weil es in ihrem Viertel zu gefährlich wurde, musste Mujeres Transformando ihr Büro in ein sichereres, aber auch teureres Gebiet verlegen.

Mehr zur Maquila Delegationsreise

Vom 26. Januar bis zum 6. Februar 2015 hat die CIR eine Delegationsreise zum Thema „Maquila“ (spanisch für Bekleidungsfabrik) ins mittelamerikanische Land El Salvador unternommen. Gemeinsam mit Journalist*innen und entwicklungspolitischen Multiplikator*innen aus Deutschland sowie Mitarbeiterinnen von Nichtregierungsorganisationen aus Rumänien, der Slowakei und Bulgarien trafen wir Partnerorganisationen der CIR aus der Menschen- und Arbeitsrechtsarbeit. Auf dem Reiseplan standen u.a. Treffen mit Fabrikarbeiter*innen, Betriebsgewerkschaften sowie Arbeitsrechtler*innen.

Ich unterstütze die Arbeit der CIR!

Bitte bestärken Sie Mujeres Transformando und die Stickerinnen auf diesem letzten, wichtigen Schritt zur Umsetzung ihrer Rechte mit einer Spende!

Fragen? Rufen Sie uns gerne an: +49 (0) 251 / 67 44 13 – 0

Porträt von Maik Pflaum

Ich bin für Ihre Fragen da:

Maik Pflaum
Referent für El Salvador, Kleidung, Spielzeug
pflaumnoSpam@ci-romero.de
Telefon: 0911 – 214 2345