Lebensmittel

Menschenrechte in der Massentierhaltung

Ein fleischgewordenes System

Fleischskandale sind keine Seltenheit in den  Medien. Das zugrunde liegende agroindustrielle System wird dabei wenig diskutiert.
Franziskus Forster

Glücklich wirkende Schweine auf einer Farm in den USA.

Glücklich wirkende Schweine auf einer Farm in den USA. Foto: USDA Public Domain

Heute wird weltweit pro Kopf fast doppelt so viel Fleisch gegessen wie noch vor 55 Jahren. Gleichzeitig bevölkern mehr als doppelt so viele Menschen wie damals die Erde. Diese Entwicklung beruht auf der Annahme, dass es scheinbar unbegrenzt verfügbare billige Ressourcen, Arbeitskräfte und Deponien auf dieser Erde gibt, um den „Hunger“ der imperialen Lebensweise zu stillen. Da dies nicht der Fall ist, spitzen sich Konflikte überall auf der Welt immer mehr zu.

Einer der wichtigsten Diskussionsbeiträge der letzten Jahre wurde von dem Geografen Tony Weis unter dem Titel ‚Der ökologische Hufabdruck‘ veröffentlicht. Weis plädiert dafür, neben der Betrachtung des Konsums, der häufig im „ökologischen Fußabdruck“ an einer Zahl festgemacht wird, auch ein Verständnis der Produktionsweise zu entwickeln.

Imperiale Lebensweise

Die damit verbundene Lebensweise ist imperial, weil sie die Mehrheit der Menschen ausschließt und gleichzeitig immer mehr Menschen unter den negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen dieser Produktions- und Lebensweise leiden. In den Industrieländern essen Menschen im Schnitt pro Kopf und Jahr 50 Kilo Fleisch mehr als in den sogenannten Entwicklungsländern.

Wie funktioniert das Fleisch-System?

Die Fleischindustrie und Monokulturen sind zusammen eine zentrale Säule der industriellen Landwirtschaft. Zugespitzt beruht diese auf drei Prinzipien: Konzentration, Trennung und Profitmaximierung.

Um möglichst viele Tiere mästen und verarbeiten zu können, werden diese in möglichst hohen Zahlen konzentriert , gebündelt, gemästet und – gekoppelt an die Fleischindustrie – in Schlachtfabriken weiterverarbeitet. Es ist kein Zufall, dass die Geschichte des industriellen Fließbands auf die Fleischindustrie zurückgeht. Diese Produktionsweise übersteigt die Menge lokal verfügbarer Futtermittel bei weitem.

Die Trennung von Viehhaltung und Weidelandwirtschaft ist damit vorprogrammiert. Das bäuerliche Prinzip, in dem das Futter vom Hof kommt, die Gülle für die Düngung des eigenen Landes verwendet wird und die Produkte auf dem lokalen Markt verkauft werden, ist in der Agroindustrie überholt. Diese Trennung bewirkt eine stetige Intensivierung der Landwirtschaft (gleichzeitig eine Spezialisierung, eine erdölgetriebene Mechanisierung sowie die kapitalistische Durchdringung). Damit waren historisch einzigartige Produktivitäts-Steigerungen möglich, das Ergebnis waren agroindustrielle Monokulturen – und der wachsende Bedarf an Landflächen in Großgrundbesitz (Landkonzentration). Auch die dramatische Zunahme von Landraub in den letzten zehn Jahren wurde dadurch verschärft.

Unsichtbares Geschäft hinter Fabrikmauern, sichtbare Ergebnisse im Supermarkt

Unsichtbares Geschäft hinter Fabrikmauern, sichtbare Ergebnisse im Supermarkt. Grafik: Heinrich Böll Stiftung unter CC-BY-SA 3.0

Ebenso spitzen sich über diese Prozesse die sozialen und ökologischen Probleme in der Landwirtschaft laufend zu. Hunger und Klimawandel sind dabei nur die deutlichsten Auswirkungen. Die Ernteüberschüsse hätten immer schon für die Ernährung der Hungernden verwendet werden können, doch kommt hier das dritte Prinzip zum Tragen: Es ist profitabler, Getreide und Ölsaaten (z. B. Soja) anzubauen und dieses potenzielle Nahrungsmittel als Futtermittel zu verkaufen. Futtermittel und Fleisch lassen sich mit mehr Gewinn verkaufen als Grundnahrungsmittel für die Hungernden.

Neue Lösungen!

Um die Ursachen dieser Probleme anzugehen, muss diese Säule überwunden werden. Obwohl die Probleme dieser Produktionsweise immer weiter zunehmen, bauen die dominanten „Lösungen“ für die Zukunft der Welternährung weiter nur auf eine fortgesetzte Industrialisierung und Weltmarktorientierung der Landwirtschaft. Gangbare und zielführende Alternativen, die in der Lage sind, ein ‚Gutes Leben‘ für alle zu ermöglichen, müssen jedoch die Symbiose der Monokulturen und der konzentrierten Fleischproduktion infrage stellen und überwinden. Deshalb bereichert Tony Weis den ökologischen Fußabdruck um soziale, ökologische und tierethische Belange (siehe Kasten). So wird eine tatsächliche Reduktion dieses „Abdrucks“ möglich.

Widerstand, neue Allianzen wie das ‚Wir haben es satt! Bündnis‘ und die Entwicklung von Alternativen gehen Hand in Hand. Die Bewegung für Ernährungssouveränität forciert diesen Prozess als zentrale Antwort gegen Klimawandel und Hunger. Es geht darum, Widerstand und die Schaffung von Alternativen gleichzeitig voranzutreiben – auf eine Weise, die tatsächlich das ‚Gute Leben‘ für alle möglich macht. Die gute Nachricht: Überall auf der Welt gibt es Ansätze dafür.

Franziskus Forster ist Gemüsebauer und in der Bewegung für Ernährungssouveränität aktiv. Mit dem I.L.A.-Kollektiv veröffentlichte er 2017 das Buch „Auf Kosten anderer? Warum die imperiale Lebensweise ein gutes Leben für alle verhindert“.

Ökologischer Hufabdruck

Diesen ökologischen Hufabdruck hinterlassen industrielle Viehhaltung und Fleischproduktion

Land
  • 1/3 des globalen Ackerlands sind Monokulturen
  • Futtermittel als Ressourcenverschwendung
  • Treiber für Zerstörung von Ökosystemen
  • Verringerung der Bodenqualität und wachsender Düngemittelbedarf
  • mehr Pestizide, toxische Agrochemikalien
  • Treiber für Gentechnik
  • ‚Inseln‘ konzentrierter Verschmutzung (Gülle-Überschüsse, Großmastanlagen)

Wasser
  • wachsender Verbrauch an Orten der Monokulturen (Bewässerung) und der Massentierhaltung, Schlachthäuser
  • Wasserverschmutzung durch Düngemittel und Tierabfälle
  • mehr Pestizide und toxische Agrochemikalien
  • pharmazeutische Rückstände (Massentierhaltung)

Atmosphäre

Wachsende Treibhausgas-Emissionen durch:

  • Ausweitung der Futtermittelproduktion
  • fossile Brennstoffe für maschinelle Produktion
  • Transport der Tiere und des Futters über wachsende Distanzen
  • mehr Methan-Emissionen
  • mehr Energiebedarf bei Kühlung und Kochen
  • sinkende CO2-Speicherfähigkeit der Böden

Öffentliche Gesundheit
  • ernährungsbedingte chronische Krankheiten und Risiken
  • Ansammlung von bleibenden Giften
  • sinkende Bodenfruchtbarkeit und Nährstoffgehalt
  • Resistenzen z.B. gegen Antibiotika
  • Viren und Bakterien
  • Risiken der Gentechnik

Mensch-Tier-Beziehung
  • explodierende Populationen und schnellere Umschlagszeiten
  • genetische Veränderungen
  • extreme Beraubung der Sinneswahrnehmung
  • Monotonie, chronischer Schmerz und Leid
  • Körperverstümmelung als Routine
  • aggressive Manipulation der Reproduktion
  • Abschieben und Unsichtbarkeit der lebendigen Tiere und deren Tötung im Konsum

Schlechte Arbeitsbedingungen
  • fehlende Würde, schlechte Bezahlung
  • psychologische Traumata
  • leiderfüllte Umwelt, Gewalt
  • Töten in Hochgeschwindigkeit
  • hohe Verletzungsraten, repetitiver Stress und Jobwechsel
  • hochkonzentrierte Verschmutzung, Schwerarbeit