Oscar Romero

Oscar Romeros Bedeutung heute

40 Jahre nach seinem Todestag

20.März 2020

Ausschnitt eines Wandbilds auf dem Land in El Salvador mit Oscar Romero

Foto: CIR

Unfassbar: Die salvadorianische Oligarchie von Großgrundbesitzern und Militärs lässt Monseñor Oscar Arnulfo Romero am 24. März 1980 ermorden, während er in einer Krankenhauskappelle in San Salvador eine Messe feiert. Sie töteten damit die Stimme des Gewissens der Nation.

Romero hatte Partei für die Unterdrückten ergriffen. Bis heute ist er für die Menschen in El Salvador eine wichtige Stimme gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung. Während vorherige Päpste es nicht vermochten, Romero als vorbildlich zu würdigen, hat Papst Franziskus Monseñor Romero am 14. Oktober 2018 heiliggesprochen. Für die Menschen in El Salvador galt Romero schon viel länger als „santo“, als Heiliger. Die Forderung nach der sofortigen Heiligsprechung Romeros, „Santo Súbito“, ertönte im salvadorianischen Volk unmittelbar nach Romeros Ermordung. Die Heiligsprechung Romeros, ganze 38 Jahre nach seinem Tod, wurde in El Salvador als historisches Ereignis gefeiert.

Astrid Francia (29 Jahre) aus San Salvador, Anthropologin im Kulturministerium, beschreibt die Bedeutung Romeros – auch für die heutige Generation wie folgt:

„Die Erinnerung an Romero ist bei sehr vielen Salvadorianern latent präsent. Ich selbst kannte ihn nicht, aber meine Mutter hat mir von klein auf die Arbeit und Aufopferung Monseñor Romeros für die Ärmsten in unserem Land nahegebracht. Und als ich älter wurde, habe ich nach und nach ein umfassenderes Bewusstsein für die historische, soziale, symbolische, religiöse und kulturelle Bedeutung dieser großen Persönlichkeit entwickelt. Jedes Jahr nehme ich mit meinem kleinen Sohn als treue Gläubige seiner Worte an den Gedenkfeiern zu seinem Tod und seiner Geburt teil. Für mich persönlich ist San Romero ein Licht in der Dunkelheit; jemand, der für mich eintritt, zu dem ich beten kann und den ich um Schutz für meine Familie und alle Salvadorianer bitte, und um Wahrheit und Gerechtigkeit für unser geliebtes Land.“

Für uns als Christliche Initiative Romero ist der Erzbischof Sinngeber für eine Welt frei von Diskriminierung und Machtmissbrauch. Das Erbe Romeros, Partei zu ergreifen und sich gegen herrschende Unrechtverhältnisse einzusetzen, dient uns als Grundhaltung und Orientierung. Romero, der Verteidiger der Menschenrechte, wurde denunziert; damit war der erste Schritt zur Eliminierung getan. Romeros Worte und Taten sind auch 40 Jahre nach seinem Todestag noch von bestechender Aktualität. Sein Schicksal teilt er mit vielen Menschenrechtsverteidiger*innen weltweit, die vom Staat nicht etwa geschützt, sondern häufig diffamiert, kriminalisiert, verfolgt oder sogar getötet werden.

Als Oscar Romero 1970 in San Salvador Weihbischof wurde, galt er als konservativ. Doch einige Jahre später erkannte er mit Deutlichkeit die strukturellen Ursachen der politischen und sozialen Ungleichheit in seinem Land. Ein Schlüsselerlebnis für ihn war die Ermordung seines Freundes, des Jesuitenpaters Rutilio Grande am 12. März 1977. Rutilio Grande war Pfarrer in der Landgemeinde Aguilares und arbeitete dort in einer kirchlichen Basisgemeinde, die sich für das Schicksal der landlosen und armen Bäuer*innen einsetzte. Für die Bluttat übernahm die Organisation der Großgrundbesitzer*innen (FARO) die Verantwortung. Rutilio Grande wird im Laufe des Jahres 2020 selig gesprochen.

Oscar Romero, der am 3. Februar 1977 zum Erzbischof von San Salvador ernannt wurde, hatte nach Rutilio Grandes Mord mitgeteilt, dass er allen Staatsakten fernbleibe, bis der Mord untersucht würde. Die Regierung unternahm jedoch keinerlei Anstrengung, den Mordfall aufzuklären. Diese Erfahrung führte Romero die wahren Machtstrukturen im Land vor Augen. Die unnachgiebige Haltung der Regierung löste bei Romero eine sich vertiefende Skepsis an den Herrschenden aus. Es ging ihm um Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht, verfassungsrechtlich verbürgt, aber ebenso um ein Ende der strukturellen Ungerechtigkeit und des Machtmissbrauchs. Die Menschen und ihre Unversehrtheit lagen ihm am Herzen. Er blieb damit den Herrschenden mit ihrem nur auf Eigeninteressen basierten Diskurs ein Dorn im Auge.

Nach dem Mord an Rutilio Grande griff Romero befreiungstheologische Gedanken der zweiten lateinamerikanischen Bischofskonferenz von Medellín (1968) auf. Diese besagen, dass sich die „Kirche als ein Volk Gottes und mit den Leiden und Hoffnungen des Volkes, insbesondere der Unterdrückten identifiziert. […] Aus diesem Grund ist es der Kirche auch bestimmt, sich […] gegen eine Sozialordnung zu wenden, die auf Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Unterdrückung gründet.“

Romero ist keine im Heiligenschrein der Erinnerung gefangene Figur. Er zeigt uns mit seinem beharrlichen Wirken auf, wie wir uns angesichts von Ungerechtigkeiten verhalten können. Sein Handeln ist durchaus auch für andere, weniger gravierende Situationen beispielgebend, wenn Mut zur Widerrede gefordert ist. Seit einigen Jahren verändern sich die gesellschaftspolitischen Verhältnisse und der stark konservative Diskurs nimmt auch bei uns zunehmend Raum ein: „Fremde“ und „Andere“ werden als Bedrohung dargestellt. Unsere Mitmenschen, die nicht der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft angehören, werden dadurch gefährdet und marginalisiert. Menschenrechte und Liberalität werden in einer zunehmenden Anzahl von Gesellschaften in Frage gestellt. Kritische Stimmen der Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit, die Partei für die Ausgegrenzten ergreifen, werden der systematischen Verdrehung von Tatsachen bezichtigt. Von eben dieser Erfahrung würde Romero uns heute berichten können. Sein furchtloses Verhalten inspiriert unser Leitmotiv: ungerechte Verhältnisse benennen, sich hierbei auf Streit einlassen, und dem Wirken undemokratischer Haltungen mit Entschiedenheit entgegenzustehen.

Oscar Romero ist als Märtyrer heiliggesprochen, doch ist er damit nicht unerreichbar. Wir können ihn in unsere heutige Welt holen, wenn wir uns die sozialen und politischen Konstellationen seiner Zeit im Vergleich zu unserer Zeit vorstellen und sein Ideal in unsere Situation übertragen. Das bedeutet, antidemokratischen und unsolidarischen Kräften entgegenzuwirken und unsere Augen für jene Menschen zu öffnen, die für Romero als Erzbischof im Zentrum der Aufmerksamkeit standen. Für diese Menschen heute einzustehen und in Solidarität mit ihnen verbunden zu sein, ergibt sich uns aus der Erinnerung an und der Anerkennung für Oscar Romero.