„Ich bin Journalist, kein Krimineller!“

Carlos Choc, guatemaltekischer Journalist und Umweltschützer

Portrait von Carlos Choc

Der guatemaltekische Journalist berichtete 2017 erstmals über die schmutzigen Machenschaften rund um die Nickelmine Fénix am Izabal-See und wird seitdem kriminalisiert und schikaniert. Seiner Arbeit kann er nur noch eingeschränkt nachgehen. Trotzdem war er im Frühjahr auf Europareise und rief zu internationaler Solidarität und Berichterstattung auf. Wir haben ihn in Berlin getroffen.

Journalist Carlos Choc aus Guatemala. Foto: CIR
Journalist Carlos Choc aus Guatemala. Foto: CIR

„Für mich gibt es keine Demokratie, es gibt keinen Rechtsstaat, es gibt keine Pressefreiheit, keine Garantie auf Gesundheitsversorgung oder demokratische Mitsprache.“ Diese klaren und ernüchternden Worte von Carlos Ernesto Choc Chub zur Lage in Guatemala fallen gleich zu Beginn unseres Treffens am 25. April im Berliner Büro des Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL).

Carlos hat Unglaubliches erlebt. Und doch – oder gerade deswegen – nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er möchte nicht zuschauen, wie Demokratie und Pressefreiheit begraben werden. Trotz zweier Strafverfahren gegen ihn in den vergangenen sechs Jahren, von denen eins noch offen ist, erhebt er weiter seine Stimme gegen Menschenrechtsverletzungen und Repression. Er berichtet offen über seine Arbeit, die Lage der indigenen Bevölkerungsgruppe der Maya Q’eqchi’, zu der er selbst gehört, und die politische Situation in Guatemala. Dennoch ist ihm die extreme Belastung anzumerken. Gegen Ende unseres Gesprächs ist Choc merkbar müde.

Er teilt mit uns, dass er seit Tagen Kopf- und Augenschmerzen hat und sehr erschöpft ist. „Jede Nacht werde ich von Nachrichten geweckt. Entweder von Menschen, die sich um mich und meine Sicherheit sorgen, oder von solchen, die mich attackieren.“

Jahrelange Schikane

Angefangen hat alles mit Carlos Chocs Recherchen zum Umweltskandal in seiner Heimatstadt El Estor. Hier bedroht die Nickelmine Fénix des Schweizer Bergbauunternehmens Solway Investment Group durch Waldrodung, Luft- und Wasserverschmutzung die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung. Bei Protesten gegen die Mine im Jahr 2017 wird ein Fischer von der Polizei erschossen. Choc fotografiert und filmt den Vorfall und wird seitdem strafrechtlich verfolgt. In einem ersten Strafverfahren wird ihm die Anstiftung zu einer Straftat sowie die Teilnahme an illegalen Zusammenkünften vorgeworfen. Erst im September 2022 wird Choc mangels Beweise freigesprochen. Fünf Jahre, in denen Prozesstermine immer wieder verschoben wurden, seine Unterkünfte durchsucht und sein Equipment beschlagnahmt wurde. Fünf Jahre, in denen Drohungen zum Alltag wurden, Carlos immer wieder untertauchen musste und nicht in seiner Gemeinde leben konnte.

Carlos Choc bezeichnet sich als kommunitärer Journalist der Maya-Q’eqchi‘, der über Themen berichtet, die die indigene Bevölkerung umtreiben. Das sind vor allem der Klimawandel, die Auswirkungen der Rohstoffindustrie und der Monokulturen sowie die Militarisierung im Land. „Manchmal fühlt man sich angesichts all dessen ohnmächtig“, gesteht er uns.

„An dem Tag, an dem wirklich alle ihre Stimme erheben, wird die Regierung nicht in der Lage sein, alle zu unterdrücken und ins Gefängnis zu stecken.“

Carlos Choc auf die Frage, ob er noch noch Hoffnung verspürt.

Bedrohungen betreffen auch seine Familie

Kritische, unabhängige Journalist*innen wie Choc werden von der Regierung mittlerweile abfällig als Aktivist*innen bezeichnet; und somit politisiert und entsprechend unterdrückt. Damit ergeht es ihnen so wie tausenden Menschenrechtsverteidiger*innen in der Region. Die Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind, wirken sich auch auf ihre Familien aus. Choc ist es wichtig, sich nicht als Opfer darzustellen, doch seine Erzählungen machen uns sprachlos: Choc ist Vater zweier Kinder und hat eine Schwester; sie alle leiden unter seiner Verfolgung. Mehrfach stand die Polizei bewaffnet vor seinem Haus, bis er hinauskam. Sein Sohn ist 14 Jahre alt und war damals gezwungen, die Schule zu wechseln. Heute kann Choc nicht mit seinem Sohn nach draußen gehen. Seine Tochter lebt aus Sicherheitsgründen bei ihrer Mutter. Choc selbst kann nur eine Woche im Monat in El Estor leben, die anderen drei verbringt er woanders. Um Bewachung, Bedrohung und sogar Angriffe zu reduzieren.

Trotz allem – Chocs Recherche über die Beziehung der Solway Group zu europäischen Unternehmen wird fortgeführt und international veröffentlicht: Am 6. März 2022 erscheint diese unter dem Namen „Mining Stories“ in Zusammenarbeit mit dem Recherchenetzwerk „Forbidden Stories“. Solway versuchte demnach gezielt, die Umweltschäden zu vertuschen und die indigenen Gemeinden zu diskreditieren, die sich gegen die Mine engagierten.

Das zweite Strafverfahren folgt sogleich. Am 25. März 2022 wird Choc erneut angezeigt. Er wehrt sich und reichte eine Klage gegen die Nationale Zivilpolizei ein wegen Angriffen, denen er während der Berichterstattung über polizeiliche Repression in El Estor am 22. Oktober 2021 ausgesetzt war. Unterstützt wird er von der CIR-Partnerorganisation CALDH, die an seiner juristischen Verteidigung beteiligt ist. Doch die Klage wird im Oktober 2022 eingestellt. Der Richter hatte sich geweigert, die eingereichten Berufungen anzuhören.

Im Rahmen des noch offenen Strafverfahrens gegen Choc steht im August 2023 eine Zwischenanhörung an, bei der entschieden wird, ob das Verfahren eingestellt wird oder es zu Gefängnisstrafen kommt. Choc richtet sich nun direkt an uns: „Ich bitte die Nichtregierungsorganisationen, noch vor dem 22. August auf den Fall aufmerksam zu machen. Internationale Solidarität kann etwas bewirken. Und sich lautstark zu äußern, ist genau das, was der Regierung nicht gefällt.“

Hoffnung auf Widerstand

Welche Perspektive Choc für seine Zukunft sieht, fragen wir ihn. Er ist zuversichtlich, dass sein Verfahren abgeschlossen wird. „Aber die Regierung kann jederzeit einen neuen Fall „finden“. Auf Twitter werden sie mich sicher weiter angreifen. Sie werden mich immer als Bedrohung ansehen. Für ein drittes Strafverfahren fehlt mir allerdings die Kraft.“

Angesichts der erschreckenden Berichte über die Abschaffung der Pressefreiheit, über Kriminalisierung und Korruption – nicht nur in Guatemala, sondern in ganz Mittelamerika – fragen wir Choc nur zögernd, ob er auch Hoffnung verspürt. Seine Antwort: „Die Hoffnung besteht darin, dass sich die Bevölkerung zunehmend wehren wird. Denn es herrscht Empörung über die Handlungen und Äußerungen der Regierung. An dem Tag, an dem wirklich alle ihre Stimme erheben, wird die Regierung nicht in der Lage sein, alle zu unterdrücken und ins Gefängnis zu stecken.“

Porträt von Joana Eink

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Joana Eink
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