„Das Land könnte irreversibel in eine Diktatur abdriften“

Celia Medrano, Menschenrechtsaktivistin

Zwischen Diktatur, Opposition und internationaler Hoffnung

Am 4. Februar 2024 tritt Präsident Nayib Bukele zur umstrittenen Wiederwahl an, trotz Verfassungsverbots. In einem Interview mit Menschenrechtsaktivistin Celia Medrano, die als Vizepräsidentin kandidiert, spricht sie über die bedrohliche Lage: Ein fehlender Rechtsstaat, drohende Diktatur, und die Zivilgesellschaft kämpft gegen Repression und Propaganda.

Das Interview führte Oscar Orellana von unserer Partnerorganisation Tutela Legal

Celia Medrano 2023. Foto: Oscar Orella

Was unterscheidet diesen Wahlprozess von früheren? Was steht auf dem Spiel?

Es gibt in El Salvador keinen Rechtsstaat mehr, keine Garantie, dass Wahlergebnisse respektiert werden. Es gibt keine Gewaltenteilung, alle staatlichen Instanzen sind vom Präsidenten kooptiert. Der seit eineinhalb Jahren andauernde Ausnahmezustand setzt Grundrechte außer Kraft. Tausende Unschuldige sind in Haft. Zudem nutzt die Regierung staatliche Strukturen, um sich im Wahlkampf positiv darzustellen und Kritiker*innen anzugreifen. Die Regierung gibt Millionen für Propaganda aus. Regierungskritische Sektoren haben nicht die finanziellen Möglichkeiten, diesem Dauerfeuer in den Medien etwas entgegenzusetzen. Bei den Wahlen steht auf dem Spiel, dass El Salvador irreversibel in eine Diktatur abdriftet.

Bisher hat eine Mehrheit der Bevölkerung Bukeles Politik unterstützt. Verändert sich das aktuell?

Die Unterstützung für die Regierung basiert zum einen auf der Enttäuschung vieler Menschen über die Fehler unterschiedlichster Politiker*innen, die das Land regiert haben, zum anderen auf der Anstiftung zum Hass. Viele Menschen möchten einem messianischen Führer vertrauen, der ihre Probleme zu lösen verspricht. Dabei hat die Armut in der Bevölkerung seit Bukeles Amtsantritt zugenommen. Die ökonomische Dynamik bleibt hinter den Nachbarländern zurück, aber die Kosten für Güter des Grundbedarfs sind die höchsten in der Region. Allmählich merken die Menschen, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen Propaganda und Realität. Sie merken, dass das, was ihnen als „mehr Sicherheit auf den Straßen” verkauft wird, nicht nachhaltig ist. Aber es herrscht Angst, das öffentlich zu sagen, denn kritische Stimmen können im Gefängnis landen.

Warum hat das zivilgesellschaftliche Bündnis SUMAR eine Gegenkandidatur mit dir als Vizepräsidentin und Luis Parada als Präsidenten ins Leben gerufen?

Verschiedene NGOs und soziale Organisationen wollten das Fortschreiten des Autoritarismus in El Salvador verhindern. SUMAR ist ein Zusammenschluss von NGOs, LGBTI*-Netzwerken für Frauenrechte, kirchlichen Sektoren und akademischen Institutionen. Ich komme als Menschenrechtsaktivistin aus der Zivilgesellschaft. Luis Parada ist ehemaliger Militär und nun renommierter Anwalt, der sich eindeutig für die Demokratie und gegen den Bergbau in El Salvador positioniert hat. Wir wurden von der kleinen Partei „Nuestro Tiempo“ als Kandidaten akzeptiert. Wir hoffen, den hohen Prozentsatz der Wahlenthaltungen zu brechen: Umfragen zufolge wollen etwa 40 Prozent nicht wählen oder ungültige Stimmen abgeben. Diese Personen könnte unsere Kandidatur vielleicht überzeugen, dass es eine glaubwürdige Alternative gibt.

Wie bereiten sich Menschenrechtsverteidiger*innen und Oppositionelle auf die heiße Phase des Wahlkampfs vor?

Es gibt viele Risiken für politische Gegner*innen: fehlender Zugang zu Informationen öffentlicher Institutionen, keine Presse- und Meinungsfreiheit. Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen werden angegriffen und als „Verteidiger*innen von Kriminellen“ gebrandmarkt. Sie leiden unter Belästigungen, Beleidigungen und Hassrede. Von da ist es nur ein kurzer Weg bis zur physischen Aggression. Eine nicht zu tolerierende Situation, die sich noch verschlimmern kann. Viele Journalist*innen, NGOs und Menschenrechtsverteidiger*innen bereiten sich auf solche Attacken vor und schaffen z.B. Voraussetzungen, um in einer unmittelbaren Gefahrensituation sofort das Land verlassen zu können. Gegenöffentlichkeit für das, was in El Salvador passiert, ist deshalb sehr wichtig.

Was sind deine persönlichen Risiken in diesem Kontext?

Wer für eine andere als die regierende Partei kandidiert, kann leicht einer Straftat beschuldigt und verhaftet werden. Es ist wichtig, dass man im Ausland versteht, dass es hier keine Garantien für faire Gerichtsverfahren mehr gibt. Wenn jemand Opfer von politischer Willkür oder Gewalt wird, gibt es keinen staatlichen Schutz.

Was hältst du von der Ankündigung der EU, Wahlbeobachter*innen zu entsenden? Nimmt sie dadurch nicht eine zweideutige Position ein, die die Wahlen legitimieren könnte?

Jede Initiative der internationalen Gemeinschaft, die jetzt zweideutig bleibt, trägt direkt zur Konsolidierung des Autoritarismus in El Salvador bei. Die Kandidatur des Präsidenten zu akzeptieren, bedeutet, eine verfassungswidrige Kandidatur zu akzeptieren. Das wäre ein falsches Signal.

Welche Unterstützung erwartet ihr von der europäischen Politik und Zivilgesellschaft?

Es ist dringend notwendig, dass die Wahlen nicht im Ausnahmezustand stattfinden. Die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft diesbezüglich sind bisher leider zu schwach. Die Zweideutigkeit im Umgang mit der Regierung El Salvadors erweckt sogar den Eindruck einer Diplomatie, die bereit ist, bewusst wegzuschauen – bei schwersten Menschenrechtsverletzungen, bei der Aushöhlung demokratischer Institutionen und fehlenden Garantien für freie Wahlen. Europäischer Einsatz für Demokratie und Menschenrechte ginge noch eindeutiger.

Foto: Maren Kuiter

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Dorothee Mölders
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