Bergbau & Rohstoffe

Konflikt um Nickel-Mine in Guatemala

Warum bei Widerstand das Militär anrückt

29. Oktober 2021

Foto: CALDH

Wieder einmal ist ein Bergbaukonflikt in Mittelamerika eskaliert: Die guatemaltekische Regierung hat mit äußerster Härte auf eine Straßenblockade indigener Gemeinden gegen eine Nickelmine eines Schweizer Bergbaukonzerns reagiert. Sie hat den Ausnahmezustand in der Region El Estor verhängt und das Militär entsendet.

Wie lässt sich die brutale Aussetzung der Menschenrechte aufgrund eines Konflikts um ein Bergbauprojekt erklären, das eigentlich gar nicht operieren dürfte? Militärs und Eliten agieren nur im Vordergrund, der Motor für die Naturausbeutung und Gewalt ist aber unser Wirtschaftssystem.

Seit einigen Wochen blockieren indigene Anwohner*innen die Zufahrtsstraße zur Nickelmine Fenix des Russisch-Schweizer Bergbauunternehmens Solway Invest am Izabal-See im Nordosten Guatemalas. Solway übernahm das Bergbauprojekt 2011. Die Bergbaugegner*innen prangern an, dass das Unternehmen ein Urteil des Verfassungsgerichts aus 2020 missachtet. Demnach muss das Betreiberunternehmen die Arbeiten in der Mine einstellen, bis die betroffene Bevölkerung über das Projekt befragt wurde.

Gewaltsame Auflösung der Blockade

Das Gericht bezieht sich dabei auf die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der zufolge indigene Gemeinden vor der Umsetzung von Großprojekten frei und informiert befragt werden müssen. Der Protest richtet sich außerdem gegen die Pläne des Bergbauministeriums, nur bestimmte indigene Autoritäten zu befragen, die das Projekt befürworten, aber nicht einmal direkt davon betroffen sind.

Die Regierung reagierte auf die Blockade der Q’echí-Indigenen, indem sie verfassungsmäßige Grundrechte für 30 Tage aussetzt und 500 Soldat*innen und 200 Polizist*innen entsendete. Die Einsatzkräfte versuchten, unter Einsatz von Tränengas die Blockade aufzulösen. Bei den Auseinandersetzungen wurden mehrere Menschen verletzt. Die Militarisierung der Region lässt bei der Bevölkerung Erinnerungen an den Bürgerkrieg wach werden, in dem zwischen 1960 und 1996 über 200.000 Menschen getötet wurden.

Eine unheilvolle Geschichte

Das Nickel-Projekt zieht eine regelrechte Blutspur durch die letzten Jahrzehnte. 1979 ermordete das Militär 30 Bauern und Bäuerinnen, die sich gegen den Raub der Ländereien, auf denen sich später das erste Betreiberunternehmen der Mine ansiedelte, zur Wehr setzten. 2009 ermordeten Angestellte der Sicherheitsfirma des Unternehmens einen Bergbaugegner. 2012 wurden drei Studierende getötet, die sich im Widerstand gegen das Projekt engagierten. In den letzten Jahren wehrten sich vor allem Fischer*innen gegen die Mine, die durch die Verschmutzung des Izabal-Sees ihre Lebensgrundlage zerstört. Die Justizbehörden kriminalisierten die Fischer*innen und verhängten unter fadenscheinigen Umständen Haftstrafen.

Unsere Partnerorganisation Colectivo Madre Selva fasst die „unheilvolle Geschichte“ des Nickelbergbaus in einer Stellungnahme mit deutlichen Worten zusammen: „Jahrzehnte des Nickelbergbaus haben die Situation der Gemeinden nicht verbessert und haben nicht die mindesten Einnahmen für den Staat gebracht“, so die Umweltschutzorganisation. Das Unternehmen zahle nur 1 Prozent des Gewinns an den Staat, während die Gemeinden die sozialen und umweltbezogenen Kosten tragen.

Warum verteidigt die Regierung dieses „schlechte Geschäft für das Land“, wie ein Journalist das Projekt in einer guatemaltekischen Tageszeitung bezeichnet, mit der Militarisierung der Region und einer rigorosen Aussetzung grundlegender Menschenrechte? Man muss sich hier vor Augen führen, dass Aktivist*innen ohne richterliche Anordnung verhaftet werden können, die gegen eine höchstrichterlich auf Eis gelegete Mine protestieren.

„Pakt der Korrupten“ und Menschenrechtsverletzungen

Laut guatemaltekischen Sozialwissenschaftler*innen basiert in Guatemala das neoliberale Wirtschaftsmodell, das auf die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen setzt, auf einer Allianz aus transnationalen Unternehmen, lokalen wirtschaftlichen Eliten, rechten Politiker*innen und Militärs. Dieses Bündnis hat den Großteil der Institutionen des Staates fest in der Hand. Dadurch können die Eliten sich durch Korruption und den Raub öffentlicher Gelder schamlos bereichern.

Dass die Regierungsmehrheit im Parlament der Militarisierung der Region El Estor zugunsten eines Unternehmens zugestimmt hat, verwundert nicht. Hat sich doch in Guatemala für sie der Begriff „Pakt der Korrupten“ eingebürgert. Selbst gegen den Präsidenten Alejandro Giammattei ermittelt aktuell die Staatsanwaltschaft, weil er sich scheinbar von einem russischen Bergbauunternehmen bestechen ließ. Der Handlungsspielraum der unabhängigen Justiz wird in Guatemala jedoch immer schmaler, weil ihr der „Pakt der Korrupten“ den Krieg erklärt hat. Seit Jahren versucht sie, die Gerichte und Staatsanwaltschaften zu kontrollieren, um für sich Strafffreiheit zu garantieren.

Die Einnahmen für den Staat durch den Bergbau können noch so gering sein, die Schäden für die Umwelt und die betroffenen Gemeinden noch so groß: Solange die Eliten von der Ausbeutung der Natur profitieren und den Staat kontrollieren, können sie Proteste rücksichtslos unterdrücken und sich weiter bereichern. Wenn sie die Umweltstandards und Steuern niedrig halten, können sie sicher sein, dass sie ihren Teil des Kuchens, zum Beispiel in Form von öffentlichen Aufträgen, abbekommen.

Unser Wirtschaftssystem fördert Ausbeutung und Gewalt

Doch können Korruption und Gewalt im Zusammenhang mit dem Rohstoffabbau nicht allein durch die Machtverhältnisse innerhalb des Landes erklärt werden. Mindestens genauso wichtig ist die Funktionsweise unseres kapitalistischen Systems. Für den Soziologen Stephan Lessenich zeichnet sich dieses dadurch aus, dass es sich die natürlichen Ressourcen aneignet und ausbeutet. Gleichzeitig werden die sozialen und ökologischen Kosten in andere Weltregionen ausgelagert und systematisch ausgeblendet.

Nickel ist ein begehrter Rohstoff. Der Weltmarktpreis hat sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt, weil Technologieunternehmen das Metall dringend z. B. für die Herstellung von Batterien benötigen. Aufgrund der hohen Nachfrage gibt es aktuell Versorgungsengpässe auf den Märkten. Die hohen Preise stärken in den Abbauländern die Gier und heizen die Aggressionen gegen die Bergbaugegner*innen an. Während sich z. B. Elektroauto-Hersteller wie Tesla als Klimaretter profilieren, können sie sicher sein, dass die benötigten Mineralien aus Ländern wie Indonesien, Guinea, Guatemala, Mexiko oder Peru erhalten. Die Eliten können dem Weltmarkt in vielen Fällen derartige Mengen nur zur Verfügung stellen, wenn sie  die Rechtsstaatlichkeit aushöhlen, die demokratischen Rechte einschränken, Aktivist*innen kriminalisieren und Gemeinden gewaltsam unterdrücken.  Diesen Zusammenhang zwischen der Aneignung und Auslagerung von Schäden und Gewalt blenden die Unternehmen im globalen Norden systematisch aus.

Lieferkettengesetze und Rohstoffwende als Lösung

Wie kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden? Zunächst brauchen wir eine umfassende Regulierung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten der Unternehmen in den Lieferketten. Das deutsche Lieferkettengesetz ist ein erster Schritt, es hat aber deutliche Schwächen, die seine Wirkung vor allem bei der Rohstoffgewinnung beeinträchtigen könnten.

Das EU-weite Lieferkettengesetz ist die Möglichkeit, eine einheitliche und stärkere Regulierung für den gesamten europäischen Wirtschaftsraum zu verabschieden. Aktuell warten wir auf einen Entwurf der Europäischen Kommission. Diese Regulierung könnte auch Druck auf das Nickel-Unternehmen in Guatemala ausüben, da Griechenland seit Jahren Nickelerz aus dem mittelamerikanischen Land importiert und in Zukunft auch an der Lieferkettengesetz gebunden wäre.

Wir dürfen uns aber nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass Sorgfaltsregeln allein nicht ausreichen werden, um der Zerstörung der Natur und der Entrechtung von Gemeinden entgegenzuwirken. Wir müssen eine langfristige Rohstoffwende einleiten, also den Verbrauch deutlich reduzieren. Das wird aber nur möglich sein, wenn wir unsere Lebensweise verändern. Ein Beispiel: Der Verbrennungsverkehr kann deshalb  nicht einfach durch individuelle Elektromobilität ersetzt werden. Das würde den Rohstoffverbrauch weiter steigern. Vielmehr braucht eine wirkliche Verkehrswende einen umfassenden Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel. Wir gewinnen damit auch ein Wirtschaftssystem, das die Lebensgrundlagen und Rechte von Menschen in anderen Ländern achtet.

Porträt von Christian Wimberger

Ich bin für Ihre Fragen da:

Christian Wimberger
Referent für Unternehmensverantwortung, Bergbau, öffentliche Beschaffung, Guatemala
wimbergernoSpam@ci-romero.de
Telefon: 0251 - 674413-21