Systemwandel

Konferenz für eine Welt-Wirtschaft, in der wir leben wollen

28./29. Oktober 2022 im Franz Hitze Haus, Münster

Kooperationspartner*innen: CIR, MÖWe, Eine Welt Netz NRW, Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN), Akademie Franz Hitze Haus in Münster, Institut für Kirche und Gesellschaft

Konferenzbericht

Am 28./29. Oktober 2022 fand die „Konferenz für eine Welt-Wirtschaft, in der wir leben wollen“ im Franz Hitze Haus (FHH) in Münster statt. Zwei Tage lang widmeten sich die 150 Teilnehmenden und Referierenden der Frage, wie die notwendige sozial-ökologische Transformation global gerecht gestaltet werden kann.

Grünes Wachstum?

Die Konferenz startete Freitagnachmittag nach einer Begrüßung durch Christian Müller vom FHH und Theresa Haschke von der Romero Initiative (CIR) mit einem Input von Ruth Krohn vom Konzeptwerk Neue Ökonomie. Pointiert zeigte sie auf, welche Krisen die aktuelle Wirtschaftspolitik hervorruft: massive soziale Ungleichheit, die mit einer Demokratiekrise verwoben ist, und die Klimakrise standen im Vordergrund.

Mittels des Modells der planetaren Grenzen und indirekten sowie direkten Rebound-Effekten machte Ruth Krohn klar, dass grünes Wachstum für die Abwendung der genannten Krisen nicht ausreichen wird. Abschließend stellte sie daher die Idee des Postwachstums dar, die Gemeinwohlorientierung statt Profitmaximierung in den Fokus des Wirtschaftssystems stellt. Wege, die in eine Postwachstumswirtschaft führen sind dabei unter anderem eine Umverteilung, eine Arbeitszeitverkürzung sowie eine Demokratisierung der Gesellschaft.

Grüne Technologien auf Kosten des Globalen Südens

Anschließend teilte der aus Argentinien zugeschaltete Umweltrechtsanwalt Enrique Viale seine Sichtweise auf grünes Wachstum. Er merkte an, dass bei einer sozial-ökologischen Transformation nicht das Soziale vom Natursystem getrennt werden darf und der Mensch sich stärker als Teil der Natur verstehen sollte. Ein großer Fehler sei es, unbegrenztes Wachstum als möglich anzusehen. Daher müsse der Globale Norden sein problematisches Konsumverhalten überdenken. Durch den Boom von Elektrogeräten und auch sogenannten grünen Technologien würden Länder im Globalen Süden – von Lateinamerika bis Afrika – ausgebeutet, um die dafür notwendigen Rohstoffe zu gewinnen. Durch diesen grünen Kolonialismus werden die Unterschiede zwischen Nord und Süd noch größer. Die Energiewende müsse daher ganzheitlich gedacht werden und diese Ungleichheiten berücksichtigen. Diskussionen über die Rechte der Natur aus Lateinamerika könnten dabei richtungsweisende Denkanstöße geben.

Anders denken statt weiter so

Die Journalistin Kathrin Hartmann machte anhand verschiedener Beispiele klar, dass grüner Kapitalismus an vielen Stellen Schäden anrichtet. Beispielsweise ist das Unternehmen HeidelbergCement eines der klimaschädlichsten Unternehmen im DAX, wirbt aber gleichzeitig mit Nachhaltigkeit. Bis 2050 möchte es mittels Carbon-Capture klimaneutral sein – einer Technologie, die noch gar nicht verfügbar ist. Darüber hinaus gibt es keine Belege dafür, dass diese Technologie den CO2-Verbrauch wirklich im nennenswerten Maße reduzieren könnte. Ähnlich sieht es bei Bio-Sprit oder Elektromobilität aus: Die Nachfrage nach diesen vermeintlich grünen Lösungen braucht viele Ressourcen, deren Abbau vor allem im Globalen Süden zu weiteren, nicht berücksichtigten Schäden führt. Grüner Kapitalismus ist, so Hartmann, sehr attraktiv, denn er ermöglicht ein Weiterleben wie bisher und tastet die Machtungleichheiten der Gesellschaft nicht weiter an.

Gewerkschaftlich und politisch organisieren

Jan Philipp Rohde vom DGB machte klar, dass wir die Transformation aktiv mitgestalten müssen. Die Klimakrise hat sowohl am Arbeitsplatz, als Verbraucher*in als auch durch den Strukturwandel Auswirkungen auf Beschäftigte. Der DGB wirkt daher nicht nur von der Gewerkschaftsseite aus, sondern auch politisch mit, um gemeinsame belastbare Perspektiven zu schaffen. Zentral dabei ist die Idee, regionale Transformationsräte zu gründen und Transformationslots*innen auszubilden: Beschäftigte werden dabei als Transformationsexpert*innen zu Multiplikator*innen. Wichtig sei letztlich auch, dass die Transformation auch in anderen Ländern vorankommt.

Podiumsdiskussion: Ist die Regierung radikal genug?

Der erste Tag der Konferenz schloss mit einer Podiumsdiskussion zwischen Ruth Krohn, Kathrin Hartmann, Jan Philipp Rohde und Sven Giegold (Staatssekretär BMWK, zugeschaltet) ab. Moderiert wurde die Debatte von Professorin Doris Fuchs vom Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN). Schnell wurden die Anforderungen an die Regierung deutlich: Es braucht ambitioniertere und radikalere Vorgehensweisen von der Politik, um die sozial-ökologische Transformation voranzutreiben. Besonders angesichts der drängenden Zeit seien die derzeitigen in einer Wachstumslogik gefangenen Vorstellungen von Klimaschutz nicht weitgehend genug, da waren sich Krohn, Hartmann und Rohde einig. Sven Giegold hielt dagegen, dass es weniger um das Wachsen des Bruttoinlandsprodukts gehe, sondern darum, welche Sektoren wachsen müssen (z.B. erneuerbare Energien, ökologische Landwirtschaft). Die Ampel-Koalition habe bereits hohe Ziele für den Klimaschutz angesetzt. Letztlich müsse aber auch die Bevölkerung mitgehen und ihre „Not-in-my-backyard“-Mentalität aufgeben. Jan Rohde betonte, dass die Ängste der Beschäftigten ernst genommen werden müssen und dass es neue Konzepte von guter Arbeit mit Wirtschaftsdemokratie und Teilhabe bräuchte. Auch die Teilnehmenden brachten sich in die Diskussion ein: Es gab Stimmen, die auf die Notwendigkeit von Verboten oder auch die Dezentralisierung von ökonomischer Macht durch kartellrechtliche Regulierungen hinwiesen.







Fotos: Angela Ascheberg

Mensch als Teil der Natur

Der zweite Tag der Konferenz startete mit einem Input von Klimarechtsaktivist Luis Gonzáles von der Organisation UNES aus El Salvador. Er nutzte die Metapher des casa común, des geteilten Hauses, um klarzumachen: Die Natur, in der wir leben und deren begrenzte Ressourcen wir teilen, kann auch ohne uns überleben. Wir müssen also Verantwortung übernehmen, um nicht die letzte Generation auf der Welt zu werden. Von den vielen derzeit herrschenden Krisen sind vor allem vulnerable Gruppen betroffen, also z. B. Frauen oder indigene Gruppen. Luis Gonzáles betonte, dass die begrenzten Ressourcen vor allem den menschlichen Bedürfnissen und der Umwelt dienen sollten und nicht der Industrie: In El Salvador werde zum Beispiel extrem viel Wasser für die Bergbauindustrie verwendet, was zur Verschmutzung von Trinkwasser führt.

Es bewegt sich schon was

Publizistin und Ökonomin Elisabeth Voß führte anschließend in Zukunftsökonomien ein und nannte viele Beispiele für bereits jetzt gelebte andere Praktiken. Von solidarischer Ökonomie über Genossenschaftsprinzipien, Gemeingüter („Commons“), Degrowth, Donut-Ökonomie oder Gemeinwohlökonomie: Es gibt nicht die eine Zukunftsökonomie, sondern viele verschiedene Ansätze, die auch an vielen Stellen schon gelebt werden und umsetzbar sind. Bewegungen wie die solidarische Landwirtschaft, die Frauenrevolution in Rojava oder zapatistische Gemeinden zeigen, dass ein anderes Wirtschaften und Zusammenleben möglich ist.

Utopien in Nord und Süd

Bei der zweiten Podiumsdiskussion der Konferenz ging es um utopisches Denken als notwendigen Voraussetzung für den Wandel. Michael Brie (Philosoph und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Rosa Luxemburg Stiftung), Umweltaktivist Raul Ignacio Carias aus Honduras und Elisabeth Voß diskutierten mit. Deutlich wurde, dass es sehr verschiedene Herangehensweise und Probleme im Globalen Norden und Süden gibt: Während Raul Carias von akuten Missständen wie der Zerstörung der Mangrovenwälder in Honduras berichtete, blieben Michael Brie und Elisabeth Voß stärker auf der theoretischen Ebene.

Vielfältige Workshops zur Auswahl

Abschließend konnten die Teilnehmenden zwischen fünf verschiedenen Workshops auswählen.

Nach einer gemeinsamen Evaluation der Konferenz konnten die Teilnehmenden die Inhalte beim gemeinsamen Abendessen ausklingen lassen.

Tagungsprogramm

Laden Sie sich hier das Tagungsprogramm als pdf herunter!

Tag 1: Aktuelle politische Konzepte der Transformation: Wieder die Suche nach der schnellen Lösung?

14:30 Uhr: Stehcafé zum Ankommen

15:00 Uhr: Eröffnung & Begrüßung (CIR und FHH)

15:30 Uhr: Impulsvorträge

  • 15:30-16:15 Uhr: Mit grüner Marktwirtschaft die Welt retten? Gerechtigkeits-Check aktueller Transformationsprozesse (Ruth Krohn (Konzeptwerk Neue Ökonomie) und Enrique Viale (hybrid))
  • 16:15-17:00 Uhr: Grün, aber auf Kosten anderer: Menschenrechtsverletzungen und Landnahme für grünes Wachstum/ Transitions-Rohstoffe und grüne Energie (Kathrin Hartmann, Autorin und Journalistin)
  • 17:00-17:45 Uhr: Gerechter Strukturwandel für sozialen und ökologischen Fortschritt: Gewerkschaftliche Transformationspolitik in Nord und Süd (Jan Philipp Rohde, DGB)

18:00-19:00 Uhr: Abendessen

19:30 Uhr: Abendpodium

Vom Grünen Wachstum zu De-Growth? Wege zum global gerechten und ökologischen Wirtschaften

Ruth Krohn, Sven Giegold (Staatssekretär des BMWK, hybrid), Kathrin Hartmann, Jan Philipp Rohde. Moderation: Prof. Doris Fuchs, ZIN, Uni Münster

Tag 2: Visionen des Wandels und Strategien der Transformation

09:00 Uhr: Zusammenfassung und Rückschau auf den Vortrag

09:15 -10:00 Uhr: Globale Perspektiven auf die sozial-ökologische Transformation (Luis Gonzáles, Klimarechtsaktivist von UNES, El Salvador)

10:00-11:00 Uhr: Auf der Suche nach Zukunftsökonomien: Ideen und Praxen wirtschaftlicher Alternativen weltweit (Elisabeth Voß, Betriebswirtin und Publizistin)

Kaffeepause

11:30-12:30 Uhr: Visionen aus Lateinamerika: Das Recht der Natur und die Idee eines ökosozialen, wirtschaftlichen und interkulturellen Pakts des Südens für ein gutes Leben für alle (Enrique Viale (hybrid))

Mittagspause

13:30 -15:00 Uhr: Utopisches Denken als notwendige Voraussetzung für den Wandel? Es diskutieren Vertreter*innen aus Psychologie, Theologie, Wirtschaftspolitik/Philosophie und Soziologie. Mit: Raul Ignacio Carias (Committee for the Defense and Development of the Flora and Fauna of the Gulf of Fonseca, Honduras), Prof. Dr. Michael Brie, Philosoph und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Rosa Luxemburg Stiftung und Elisabeth Voß.

15:15 -17:000 Uhr: Workshop-Phase zu Strategien der Transformation (inkl. Kaffeepause)

Workshop 1: Wandel durch Schlüsselbereiche in der Wirtschaft (CIR)

  • Agrarökologie und Rohstoffwende: Mit branchenspezifischen Konzepten zu einer gerechten und ökologischen Gesellschaft? (Anderson Sandoval, CIR)

Workshop 2: Konsum- und Kulturwandel (ZIN)

  • Will ich´s oder brauch ich´s? Das Gute Leben innerhalb nachhaltiger Grenzen: Die Idee der Konsumkorridore (Doris Fuchs, ZIN)

Workshop 3: Wirtschaft demokratisieren, Konzernmacht begrenzen Wie wir eine vielfältige, gerechte Wirtschaft schaffen (Ulrich Müller, Balanced Economy Project und Initiative Konzernmacht)

Workshop 4: Wirtschaftsförderung 4.0: Strategien für nachhaltige Geschäftsmodelle, mit denen die Große Transformation gelingt (Karin Kudla, Wirtschaftsförderung Stadt Witten und Manfred Belle, Eine Welt Netz NRW)

Workshop 5: Community Care und Empowerment (Anna Niesing (KAUZ Projekt), Thea Jacobs (Evangelische Akademie Villigst))

17:15-18:15 Uhr: Austausch im Plenum und Kurzstatements

  • Was nehme ich mit, was hat mich inspiriert, woran möchte ich weiterarbeiten= Teilnehmende und Akteure aus den Institutionen, u.a. zur Rolle und Aufgabe von Kirchen, Gewerkschaften, NGOs und Einzelpersonen etc.

18:15 Uhr: Schlusswort

  • Mit vereinten Kräften: Allianzen für eine global gerechte Wirtschafts-Transformation? Rückschau auf die Tagung und Ausblick (CIR)

18:30 Uhr: Abendessen

Foto: Maren Kuiter

Ich bin für Ihre Fragen da:

Theresa Haschke
Referentin für sozial-ökologische Transformation
haschkenoSpam@ci-romero.de
Telefon: 0251 – 674413-0