Kleidung

Maquila Delegationsreise nach El Salvador

Starke Frauen bewirken Veränderung …

und mahnen internationale Solidarität an

01. Januar 2015 / Reinhold Hummel

Treffen mit Frauen des Maquila-Komitees bei Mujeres Transformando

Treffen mit Frauen des Maquila-Komitees bei Mujeres Transformando

Nur eine dünne Blechwand trennt unseren Besprechungsraum in der Geschäftsstelle von Mujeres Transformando von der vielbefahrenen Durchgangsstraße. Draußen brummen die Lkws vorbei. Von Lautsprecherwagen dröhnt Musik, lautstark werden Parolen über Megaphon verbreitet. Die Endphase des Wahlkampfs für die Parlamentswahlen ist eingeläutet, und es gilt, die Wähler mit allerlei Versprechungen zu mobilisieren. Sie konkurrieren mit den nicht minder lautstark über Lautsprecher verkündeten Heilsversprechen einer evangelikalen Sekte, die ihren Gottesdienst in einem Versammlungsraum auf der anderen Straßenseite feiert.

Inmitten dieses Trubels erläutern uns Vertreterinnen des Maquila-Komitees in der Geschäftsstelle von Mujeres Transformando in Santo Tomás ihren Einsatz für eine bessere Zukunft.

Mujeres Transformando versteht sich als feministische Frauenorganisation, die sich für die Rechte der Arbeiterinnen im Bekleidungssektor engagiert. Hier in Santo Tomás, südlich der Hauptstadt San Salvador, produzieren tausende Frauen in den freien Produktionszonen angesiedelten Firmen für den internationalen Textilmarkt.

Montserrat Arévalo, die Geschäftsführerin von Mujeres Transformando, tritt selbstbewusst und eloquent auf. Sie weist darauf hin, dass für ihre Organisation die unmittelbare Nähe zu den vielen hier beschäftigten Textilarbeiterinnen eminent wichtig ist. Sie können die Geschäftsstelle für Rechtsberatungen und Fortbildungen sowie zur Mitwirkung an gemeinsamen Aktionen aufsuchen. Hier treffen sich alle zwei Wochen 18 Vertreterinnen von Frauengruppen aus den Vororten und den umliegenden Gemeinden zu den Sitzungen des Maquila-Komitees. Sie arbeiten in verschiedenen Unternehmen und tauschen sich über die Arbeitsbedingungen in den Fabriken aus, sammeln und dokumentieren Arbeitsrechtsverletzungen. Sie haben sich zusammengetan, weil sie es leid sind, die würdelose Ausbeutung weiterhin widerstandslos hinzunehmen.

Die Klagen, die uns die Frauen vortragen, sind vielfältig. Wir sind betroffen über die geschilderten Repressalien und Demütigungen in den Fabriken. „Wer die geforderte Arbeitsleistung und -qualität nicht erfüllt, dessen Arbeitsplatz wird von der Vorarbeiter*in für alle deutlich sichtbar mit einem Fähnchen markiert. Ein deutliches Signal: hier arbeitet eine, die unfähig ist, die Arbeitsleistung zu erbringen!“. „Der Arbeitsakkord wurde in den letzten Jahren immer weiter nach oben gesetzt. Wenngleich der offizielle Arbeitsbeginn um 7 Uhr ist, muss ich inzwischen regelmäßig bereits um 6 Uhr mit der Arbeit beginnen und oft auch abends länger arbeiten, um wenigstens den niedrigen gesetzlichen Mindestlohn pro Tag zu erreichen. Und dieser reicht nicht mal aus, um meine Familie zu ernähren.“ „In unserer Fabrik wurden Videokameras an den Toiletten und Wasserspendern zur Überwachung eingerichtet, um zu dokumentieren, wie lange sich einzelne Frauen vom Arbeitsplatz entfernen“. Oft ist das Trinkwasser von äußerst schlechter Qualität. Früher durften die Frauen während der Arbeitszeit nicht zur Toilette und tranken daher extrem wenig Wasser. Dies führte bei vielen Frauen zu schweren Nierenproblemen.

„Heute mit 40 Jahren habe ich das Gefühl, dass ich mein Leben hergegeben habe. Als junge Frau habe ich mit der Arbeit in den Maquila-Fabriken begonnen. Inzwischen schränken mich die körperlichen und psychischen Probleme, die ich durch diese unmenschlichen Bedingungen bekommen habe, so sehr ein, dass ich nicht mehr ausreichend leistungsfähig bin und daher keine Arbeit mehr finde.“ Alejandra* ist verzweifelt und weiß nicht, wie sie ihre Familie künftig durchbringen soll.

„Als ich begonnen habe, mich zu organisieren, wurde ich von meinen Vorgesetzten massiv angegriffen, beleidigt und unter starken Druck gesetzt. Sie schreien uns bei allen Kleinigkeiten an, erniedrigen uns ständig und erzeugen so ein Klima der Angst“, berichtet Susana*. „In unseren Maquilas können wir uns nicht als organisierte Frauen zu erkennen geben. Auch bei Demonstrationen versuchen wir, uns so zu kleiden, dass wir nicht erkannt werden. Dort wird oft gefilmt, und wer erkannt wird, verliert sehr schnell seinen Arbeitsplatz. Gewerkschafter*innen gelten in unserer Gesellschaft als aufmüpfig und faul, ihre Arbeit wird massiv behindert und unterdrückt.“

Dennoch bringen die Frauen inzwischen die Kraft auf, gemeinsam für ihre Rechte zu kämpfen. Sie sind dabei, ihre Ängste trotz aller Repressionen abzubauen und aktiv für ihre Rechte einzutreten, die ihnen per Gesetz zustehen. Im Besprechungsraum stehen Farbkübel, liegen Pinsel und Stoffbahnen. Hier werden gemeinsame Protestaktionen geplant und koordiniert, Slogans kreiert und Transparente gefertigt. „Inzwischen bin ich stark genug, mich gegen die Angriffe der Vorgesetzten zur Wehr zu setzen und ihnen gemeinsam mit meinen Kolleginnen Paroli zu bieten. Wir lassen uns nicht mehr alles gefallen!“, bekräftigt Marta Elvia* selbstbewusst.

„Dies ist ein zentraler Punkt unserer Strategie“, erläutert Motserrat Arévalo. „Wir bieten Seminare an, in denen die Frauen ihre Persönlichkeit weiter entwickeln können. Sie werden von unserer Psychologin geschult und von unseren Juristinnen beraten, damit sie die schlimmsten Arbeitsrechtsverletzungen zur Anzeige bringen können. Sie müssen persönlich stark genug sein, um ihre Anliegen gegenüber den Vorgesetzten und der Betriebsleitung vorzutragen und sich nicht länger 12 bis 16 Stunden unter unwürdigen Bedingungen ausbeuten zu lassen.“

Was sind die Ursachen dieser unwürdigen Zustände in den Maquila-Fabriken? Zum einen geht enormer Druck von den Vorarbeiter*innen aus, die die Arbeitsprozesse in den Fabriken überwachen und die auch bei ständigen Akkordanpassungen mitwirken. Des Weiteren fordert die Geschäftsleitung aufgrund des harten Wettbewerbs unter den Produktionsstätten, dass in ihrem Betrieb beste Qualität zu den günstigsten Bedingungen in der gesamten Region produziert wird. Dazu werden selbst die gesetzlichen Arbeitsschutzvorgaben unterlaufen. „Wenn ihr unter diesen Bedingungen nicht arbeiten wollt, könnt ihr ja gehen“, droht die Geschäftsleitung kurzer Hand an.

„Auch unsere Regierung interessiert sich nicht für unsere Arbeitsbedingungen und setzt sich nicht ausreichend dafür ein, dass die gesetzlichen Vorgaben in den Produktionsstätten eingehalten werden. Außerdem tragen die ausländischen Auftraggeber, also die internationalen Markenfirmen, wesentlich dazu bei, dass wir hier unter diesen unwürdigen Arbeitsbedingungen schuften müssen, indem sie ständig die Stückpreise drücken“, erläutert Moly, die Juristin. „Wenn allerdings Arbeitsrechtsverletzungen in den USA und in Europa in den Medien öffentlich gemacht werden, reagieren die Markenhersteller meist sehr kurzfristig und beauftragen eine Kontrolleur*in mit der Überprüfung der Vorwürfe.“ Neben der Überprüfung der Einhaltung der Arbeitsbedingungen durch die Inspekteur*innen des Arbeitsministeriums könnten insbesondere regelmäßige Audits der internationalen Markenfirmen mit dazu beitragen, die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards zu überwachen. „Allerdings funktionieren solche Audits nur dann, wenn die Firmen die Einhaltung ihrer Verhaltenskodizes in den Produktionsstätten regelmäßig prüfen, die Ergebnisse öffentlich zugänglich und damit durch die Zivilgesellschaft überprüfbar machen“, schränkt Montserrat ein. „Derzeit werden die Audits meist vorher angekündigt und die Interviews werden nur mit ausgewählten Arbeiter*innen im Beisein ihrer Vorgesetzten durchgeführt.“
Uns wird klar, dass solche Audits nicht wirklich zur Verbesserung beitragen, sondern eher dem Greenwashing der Marken dienen. Es bedarf also einer noch intensiveren Kampagnenarbeit in Europa und den USA, um den öffentlichen Druck auf die Markenhersteller deutlich zu erhöhen. Die ungeschönte Realität kann nur durch unabhängige Auditor*innen unter Beteiligung von Vertreter*innen der Zivilgesellschaft erfasst und dokumentiert werden.

„Um die Forderungen nach einer regelmäßigen und glaubhaften Überprüfung der Produktionsbedingungen durchzusetzen, benötigen die salvadorianischen Frauenorganisationen und Gewerkschaften dringend Unterstützung durch internationale Organisationen“, betont Montserrat. „Denn nur gemeinsam kann über Informationen in den internationalen Medien und durch Verhandlungen der notwendige Druck auf die Markenfirmen und ihre Produktionsstätten so erhöht werden, dass sich die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der internationalen Textilindustrie nachhaltig verbessern lassen.“

* Name geändert

Mehr zur Maquila Delegationsreise

Vom 26. Januar bis zum 6. Februar 2015 hat die CIR eine Delegationsreise zum Thema „Maquila“ (spanisch für Bekleidungsfabrik) ins mittelamerikanische Land El Salvador unternommen. Gemeinsam mit Journalist*innen und entwicklungspolitischen Multiplikator*innen aus Deutschland sowie Mitarbeiterinnen von Nichtregierungsorganisationen aus Rumänien, der Slowakei und Bulgarien trafen wir Partnerorganisationen der CIR aus der Menschen- und Arbeitsrechtsarbeit. Auf dem Reiseplan standen u.a. Treffen mit Fabrikarbeiter*innen, Betriebsgewerkschaften sowie Arbeitsrechtler*innen.

Porträt von Maik Pflaum

Ich bin für Ihre Fragen da:

Maik Pflaum
Referent für El Salvador, Kleidung, Spielzeug
pflaumnoSpam@ci-romero.de
Telefon: 0911 – 214 2345