Guatemala

Ein Dorf am Atitlán See verbannt Einwegplastik

Plastikfreie Einkäufe! Dafür plädiert Bürgermeister Mauricio Méndez des bei Tourist*innen beliebten Seedorfes San Pedro, seit mehr als vier Jahren. Seine Idee: Bewohner*innen verpflichten, auf Einwegplastik zu verzichten, um Kosten einzusparen und die Umwelt zu schützen. CIR-Volontärin Franziska Menge war im Januar vor Ort und sprach mit Dorfbewohner*innen und der Stadtverwaltung.

17. März 2020

Ufer des Atitlán Sees in Guatemala

Foto: Franziska Menge (CIR)

Der Atitlán-See in Guatemala, umgeben von den Vulkanen Atitlán, Tolimán und San Pedro, beeindruckt durch seine Lage in 1560 m Höhe. Er wird sowohl von Reisenden als auch von der guatemaltekischen Tourismusbehörde als schönster See der Welt bezeichnet. Die umliegenden Dörfer schätzen ihn aufgrund der Trinkwasserversorgung in der Region und setzen sich mittlerweile für den Schutz und Erhalt der Biodiversität im See ein. Hierbei handelt es sich jedoch um ein schwieriges Unterfangen, da viele Maßnahmen um Jahre zu spät kommen. Gerardo Paz von der CIR-Partnerorganisation Madre Selva erläutert in einer Stellungnahme, dass der See bei warmen Temperaturen bedingt durch Abwasser und Plastikmüll unter starkem Blaualgen-Wachstum leidet. Einige Dörfer entlang des Sees setzen nun am Plastikproblem an und zielen auf Müllvermeidung. Vorreiter der Initiative ist Mauricio Méndez, Bürgermeister von San Pedro La Laguna. Er war alarmiert als klar wurde, dass das Abfallmanagement des Dorfes und der gesamten Region aufgrund der Plastikberge kurz vor dem Zusammenbruch stand.

Foto: Franziska Menge (CIR)

Das Engagement der Sadtverwaltung

Lorenzo Rodríguez, Mitarbeiter der Stadtverwaltung, berichtet im Gespräch vor Ort von den Entwicklungen im Dorf. Er ist Beauftragter für Kastastrophenschutz und überwacht unter anderem die Ufer des Atitlán Sees um illegalen Sandklau zu unterbinden. Seine Kolleg*innen kümmern sich um die Entwaldung an den Hängen des Sees und das Abfallmanagement. Ein großes Problem des Dorfes sind unter anderem die ausgeschöpften Mülldeponien, die die Abfälle längst nicht mehr aufnehmen können. Hinzu kommt: Nicht alles kann getrennt werden und landet unsortiert auf der Müllhalde. Vor allem Plastiktüten seien in der Vergangenheit in riesigen Mengen angefallen. Wenn Rodríguez früher auf dem Markt einkaufte, habe er jedes Mal Plastiktüten bekommen, die zu Hause sofort in den Müll wanderten – der Nutzen der Tüten lag bei ca. 15 Minuten. Das habe die Stadtverwaltung zum Nachdenken angeregt. Zum einen ist es eine Verschwendung von wertvollen Ressourcen, zum anderen ist das Recyceln von Plastik in Guatemala unwirtschaftlich. Nach Aussage des ehemaligen Vize-Finanzministers Dr. Lionel Lopéz liegt das Problem vor allem in den Kosten. Für die Produktion einer Plastikflasche sei die Verwendung von neuem Plastik beispielsweise günstiger als die Wiederaufbereitung vorhandener Materialien.
Um der Plastikflut im Dorf zu entkommen, erarbeitete Bürgermeister Mauricio Méndez gemeinsam mit dem nationalen Finanzministerium ein kommunales Verbot von Einwegplastik. Dies gilt seit 2016 und verbietet die Nutzung von Plastiktüten, Strohhalmen und Styroporverpackungen. Wer gegen die Regelung verstößt, muss mit einer Strafe von bis zu 300 Quetzales (ca. 35 Euro) rechnen. Das Pilotprojekt kam vor allem bei der Plastiklobby des Landes nicht gut an. Die Kommission für Plastik in Guatemala-Stadt legte dem Verfassungsgericht eine Beschwerde vor, mit dem Ziel, die plastikverarbeitende Industrie zu schützen. Die Klage hatte jedoch keinen Bestand und wurde abgewiesen.

Die Stimmen der Dorfbewohner*innen

Auch in San Pedro gab es Widerstand. Die anfängliche Skepsis der Bewohner*innen ist inzwischen jedoch verschwunden – ein Umdenken findet statt. Traditionell geflochtene Körbe, sogenannte „canastas“, lösen mittlerweile die Einwegtüten auf dem Markt ab. Die Flechtkörbe gibt es schon lange in der Region – seit dem Plastikverbot erleben sie jedoch einen regelrechten Boom. Maria Bating verkauft sie beispielsweise neben Lebensmitteln an ihrem Marktstand. Auch sonst ist auf dem Markt vergleichsweise wenig Plastik zu sehen. Erdnüsse, Cashewkerne und Mandeln werden in kleinen Papiertüten verkauft. Die Tomaten am Stand von Clemente Gonzales werden lose abgewogen und per Hand über den Verkaufstisch gereicht.






Schild macht Verbot von Plastiktüten, Strohhalmen und Styropor sichtbar

Fotos: Franziska Menge (CIR), o.links: Clemente Gonzales, o.rechts: Michel Janda und Cecilia Nimaca Chi, u.links: Maria Bating

Im gesamten Dorf finden sich alternative Verpackungsmaterialien. Fleisch und Fisch werden in Pflanzenblättern oder wiederverwendbaren Dosen verpackt. Michel Janda und Cecilia Nimaca Chi, Verkäuferinnen am Hafen, verwenden für solch empfindliche Lebensmittel ein Metallgefäß namens „chacazt“. Sie berichten: „Zu Hause gibt es bei uns kaum mehr Plastik im Alltag. Wir möchten es nicht benutzen, da wir sonst die Umwelt verschmutzen.“
Emiliana Mendoza Quicain, Lehrerin aus San Marcos, fährt einmal pro Woche zum Markt nach San Pedro und transportiert ihre Einkäufe in einem Plastikeimer. So kommen Obst und Gemüse geschützt vor der Sonne über den See. Sie findet, dass das Plastikverbot eine positive Wirkung auf ihre Schüler*innen hat und dazu beiträgt, dass ein Bewusstsein für die Umwelt geschaffen wird. Auch Pedro Juan erzählt begeistert vom Plastikverbot. Er arbeitet in Nick‘s Place, einem der Restaurants am Hafen des Dorfes. Die Reaktionen der Gäste, als keine Strohhalme mehr serviert wurden, waren sehr unterschiedlich: „Zu Beginn war es eine riesige Umstellung. Es gab Beschwerden, aber mit der Zeit hat die lokale Bevölkerung verstanden, worum es geht. Wir machen das, damit wir die Umwelt nicht verschmutzen und San Pedro ein sehenswerter Ort für Touristen bleibt. Wenn jemand Essen mitnehmen möchte, verwenden wir biologisch abbaubare Verpackungen“.

Der Anstoß für Veränderungen

Was als Experiment begann, wurde zum Vorbild. Entlang des Atitlán-Sees setzen sich auch andere Dörfer für die Reduzierung des umweltschädlichen Materials ein. Im gesamten Land sind es bereits 20 Kommunen, unter anderem auch Touristenmagnete wie Antigua. Das Finanz- und Umweltministerium der Vorgängerregierung von Jimmy Morales arbeitete sogar an einem nationalen Einwegplastikverbot. Zunächst mit Erfolg – bereits im September 2019 wurde ein Regierungsabkommen verabschiedet, das ein Verbot aller Einwegplastikprodukte vorsieht. Nun steht allerdings alles auf der Kippe. Die Umsetzbarkeit in der Praxis sei laut der neuen Regierung unter Alejandro Giammattei nicht möglich. Es bleibt abzuwarten, was aus den Bemühungen auf nationaler Ebene wird.
Die Bewohner*innen von San Pedro und ihr Bürgermeister zeigen, dass lokale Anstrengungen größere Veränderungen anstoßen und einen Grundstein für einen Bewusstseinswandel legen können. Der Konsum von Plastiktüten im Dorf konnte um 80 Prozent reduziert werden. Lorenzo Rodríguez berichtet von weiteren Projektideen. Die Bewohner*innen werden beispielsweise dazu aufgefordert die Straßen sauber zu halten und Lärm zu vermeiden. Um 11 Uhr schließen die Lokale entlang der belebten Hafenstraße. Zudem gibt es zwei große Waschplätze im Dorf, um das Waschen im See zu vermeiden. Dadurch gelangten in der Vergangeheit viele schädliche Substanzen der konventionellen Waschmittel in den See. Ein nächster Schritt ist die Umstellung auf biologisch abbaubare Seifen. Abschließend bemerkt Lorenzo Rodríguez: “Wir sagen hier: San Pedro ist ein kleines Amsterdam. Wir sind eine kleine Welt und möchten die Dinge ordnen und an ihrem Platz. Wir wollen Frieden, Harmonie und ein Vorbild für andere sein”.
Trotz allen Bemühungen der Stadtverwaltung, sind beim Umsehen auf den Straßen in San Pedro doch noch typische Einwegplastikprodukte zu finden. So werden frisch gepresste Obstsäfte oder „horchata“, ein traditionelles Getränk aus Reis, weiterhin in Plastik- oder Styroporbechern abgefüllt. Möglicherweise fehlt es hier schlichtweg an Alternativen, wie einem Becherpfandsystem. Vielleicht finden alle gemeinsam hierfür eine Lösung – die Stadtverwaltung, die Bewohner*innen, aber auch die Tourist*innen, die durch ihr Handeln und beispielsweise mit wiederverwendbaren Getränkebechern dazu beitragen können.







Fotos: Franziska Menge (CIR), o.mittig Pedro Juan, u.mittig Emiliana Mendoza Quicain

Gerardo Paz von der CIR-Partnerorganisation Madre Selva zum Plastikverbot in Guatemala, Übersetzung: Albrecht Schwarzkopf (CIR)

Die Gemeinde San Pedro La Laguna liegt am malerischen Atitlán-See. Bedingt durch Abwasser und Plastikmüll leidet dieser vor allem bei warmen Temperaturen unter starkem Blaualgen-Wachstum. Abfälle, die nicht recycelt werden können, werden auf die Deponie in San Pedro gebracht, die auf dem Grund mit einer flüssigkeitsdichten Membran versehen ist. Diese Deponie hat jedoch nur begrenzte Kapazität – weitere Deponien sind erforderlich.
Zum Schutz von Fischerei und Tourismus erließ San Pedro 2016 daher eine Gemeindeverordnung gegen Plastikmüll. Wenig später folgten auch andere Gemeinden – und sorgten damit für öffentliche Aufmerksamkeit. Mitte 2019 erließ Guatemalas Präsident ein Regierungsdekret, welches Einwegplastik im ganzen Land verbietet.
Doch noch immer gibt es große Mengen Plastik – nicht zuletzt, weil viele Produkte darin verpackt sind. Um dem Problem beizukommen, müssen Maßnahmen ergriffen werden, die zum einen Unternehmen sanktionieren, die bei Müllentsorgung gegen Umweltgesetze handeln, und zum anderen ein höheres Bewusstsein bei Konsument*innen für die Problematik schaffen. In ganz Guatemala muss ein Verhaltenswandel darüber stattfinden, was tagtäglich an verpackter Ware konsumiert wird. Es muss vermehrt auf biologisch abbaubare Produkte gesetzt und auf Möglichkeiten des unverpackten Einkaufs zurückgegriffen werden.
Die Entscheidung, die in San Pedro La Laguna hinsichtlich des bewussteren Umgangs mit Plastikmaterial getroffen wurde, hat nicht nur die Diskussion zu diesem Thema, sondern auch konkrete Handlungsmaßnahmen eröffnet. Die Reduzierung von Plastikmüll ist bereits im Bewusstsein Vieler vorhanden, wird aber in der Realität noch nicht ausreichend umgesetzt.

Porträt von Christian Wimberger

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Christian Wimberger
Referent für Unternehmensverantwortung, Bergbau, öffentliche Beschaffung, Guatemala
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